Sieg des Herzens
Taschentücher vor Mund und Nase gebunden, da es mehr und mehr nach Verwesung roch. Es war ein furchtbarer Anblick, überall reglose Körper. Die Überlebenden, die noch bei Bewußtsein waren, konnte man nur bedauern! Seit einem Tag lagen sie nun schon zwischen den Toten und fragten sich bestimmt, ob wohl jemals Hilfe kommen würde.
Magees Lazarett lag sehr weit vom ehemaligen Kampfgeschehen entfernt - genauso wie McManus gesagt hatte. Der Operationssaal war in einem alten Bauernhaus eingerichtet worden, worüber Julian sehr froh war; da drin konnte der Regen wenigstens nicht den Untergrund durchnässen. Als man ihn hineinführte, stellte er fest, daß sein Patient sogar in einem richtigen Bett lag, das sich in einem echten Schlafzimmer befand.
Ein gewisser Reginald Flowers hatte den Oberbefehl über das Lazarett und hieß Julian höflich willkommen. Er informierte ihn sogleich darüber, daß er ursprünglich vor-gehabt hatte, den Arm abzunehmen, um die Schulter zu retten, da die Kugel zwischen mehreren großen Blutbahnen festsaß. Aber seine Krankenschwester, der er mittlerweile großes Vertrauen entgegenbrachte, habe beharrlich die Meinung vertreten, daß er - also Julian - eine derartige Verletzung behandeln könne, ohne den Arm amputieren zu müssen.
»Es ist ein großes Risiko ...«, fuhr Flowers fort, »aber Rhiannon hat auch schon bei vielen anderen Sachen recht behalten ... und sie hat gesagt, daß Hauptmann Halston nun zu Ihrer Familie gehört - als Mann Ihrer Cousine -und daß Sie diese Operation vornehmen könnten ... und sie Ihnen schon früher bei ähnlichen Operationen assistiert hat.«
»Das stimmt.«
»Und der Mann ist tatsächlich mit Ihrer Cousine verheiratet?«
»Soweit ich gehört habe, ja.«
Daraufhin wies Flowers mit den Worten: »Ihr Patient, Doktor!« auf Halston, als ob die Tatsache, daß dieser mit Julians Cousine verheiratet war, eine Garantie dafür sei, daß Julian sein Bestes gab. »Wenn Sie ihn nun bitte untersuchen würden und mir dann sagen, ob der Arm tatsächlich zu retten ist«, fügte Flowers noch hinzu. Und zu Dr. McManus gewandt sagte er: »Vielleicht würden Sie einen Moment mit mir kommen, ich will Ihnen ein paar andere Patienten zeigen...«
Die beiden verließen den Raum, und Julian trat ans Bett des Verletzten. Der Mann, der dort vor ihm lag, war jung und gutaussehend, mit dunklem, lockigem Haar und besonders ausgeprägten Gesichtszügen. Aber er war sehr blaß, und seine Haut hatte schon einen gräulichen Ton angenommen - ein untrügliches Zeichen dafür, daß er bereits viel Blut verloren hatte. Glücklicherweise war er noch bei Bewußtsein und sah Julian mit seinen haselnußbraunen Augen unbeirrt an.
Obwohl er wahnsinnige Schmerzen haben mußte, gelang ihm ein kleines Lächeln, als er zu Julian sagte: »Sie sind also der jüngere Bruder - der Arzt. Wenn man mir
Alkohol gegeben hätte, würde ich glauben, Sie seien Ian, der hier ein bißchen den Doktor spielt.«
»Ich bin Julian, und ich bin tatsächlich Mediziner. Tut es sehr weh?«
Halstons Oberkörper war frei, aber man hatte die Schulter und den Arm bandagiert, wobei das Blut bereits durch den Verband sickerte. Vorsichtig begann Julian die Mullbinden zu entfernen.
»Ob es weh tut? Ja, wie der Teufel«, sagte Halston, der unter Julians Berührung zurückzuckte.
»Sie haben also meine Cousine geheiratet?« fragte Julian, während er sich das Gewebe um die Wunde herum genauer ansah.
»Ja.«
»Wie kam es denn dazu?«
Halston sah ihn fragend an und sagte dann: »Soll ich Ihnen jetzt darauf antworten oder lieber erst, wenn Sie mir die Kugel rausgenommen haben?«
Julian lächelte grimmig und sagte: »Lieber jetzt.«
Halston zuckte mit der gesunden Schulter und begann mit seiner Erklärung: »Sie hat militärische Informationen weitergeleitet, wurde dabei aufgegriffen und ins Alte Kapitol in Washington gesteckt - in das Gefängnis, wissen Sie. Sie hatte furchtbare Angst, daß einer von euch unerschrockenen McKenzies kommen würde und Kopf und Kragen riskierte, um sie da rauszuholen. Vielleicht hatte sie auch Angst vor ihrem Vater, ich meine, wie er darauf reagieren würde. Aber da bin ich mir nicht so sicher. Auf jeden Fall wollte sie da raus.«
Julian war überrascht über die Aufrichtigkeit des Mannes, sah aber den Zusammenhang nicht und fragte verwundert: »Und deshalb hat sie Sie geheiratet?«
Halston senkte beinah verschämt den Kopf und entgegnete: »Rhiannon kam zu mir. Ich war eine Zeitlang mit
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