Sieg des Herzens
weit gefaßt, daß er nun seinerseits nach Julian ausholte. Er war ein kräftiger Mann, und Julian mußte einen harten Treffer einstecken und schwankte zurück. Aber dann kam er abermals auf Sheer zu und versetzte ihm schnell und mit geballter Kraft drei Fausthiebe, so daß Sheer auf die Knie ging. Wütend schnaubte der Colonel dann: »Sie lasse ich auch erschießen! Wegen Mißachtung eines Vorgesetzten. Sie werden bei Sonnenuntergang füsiliert, zusammen mit dieser Satansbraut, die den Yankees jetzt immer noch dabei hilft, unsere Positionen auszukundschaften.«
Ungläubig starrte Julian auf den Mann, der da vor ihm am Boden kniete. Während dessen griff Sheer nach der Waffe, die er in einem Halfter am Gürtel trug. Wieder verpaßte Julian ihm eine, diesmal direkt aufs Kinn, und Sheer ging ganz zu Boden.
»O mein Gott!« schrie Rhiannon. »Julian, Julian...«
Er legte tröstend die Arme um sie und sah sie nun mit seinen blauen Augen an, aus denen große Besorgnis sprach. »Hat er dir sehr weh getan?«
Kopfschüttelnd entgegnete sie ihm: »Aber er wird dir bald sehr weh tun, Julian. Er ist ein Colonel.«
»Das krieg' ich schon hin. Bringen wir dich erst mal hier raus. Ist mit dem Baby...?«
»Es geht mir gut, es geht mir gut«, flüsterte sie.
Aber er hob sie trotzdem hoch und trug sie aus dem Zelt. Draußen machten die Soldaten, die, durch den Lärm aufmerksam geworden, sich vor dem Zelt versammelt hatten, eine Gasse frei, und Julian trug Rhiannon zurück zu ihrem Zelt. Er hatte sie noch nicht ganz aufs Bett gelegt, als auch schon zwei Offiziere erschienen, um ihn unter Arrest zu nehmen.
»Es kommt alles wieder in Ordnung«, sagte er zu ihr.
Aber sie hatte trotzdem Angst. »Julian ...«
»Es wird alles gut.«
Und dann war er verschwunden.
Ein paar Stunden später hörte Rhiannon draußen vor dem Zelt einen Mann sich räuspern und ihren Namen sagen: »Mrs. McKenzie.« Sie eilte hinaus, wo schon zwei Soldaten auf sie warteten. »General Longstreet will Sie sprechen. Jetzt!«
»General Longstreet...?«
»Wenn Sie bitte mit uns kommen würden?«
Niedergeschlagen ging sie hinter den beiden her. Es war ein ziemlich langer Weg, aber schließlich gelangten sie an ein kleines Haus. Die Soldaten öffneten ihr die Tür und ließen sie vorgehen. Rhiannon stellte fest, daß man sie zum Hauptquartier von Longstreets Division der Armee von Nordvirginia gebracht hatte. Sie sah sich ängstlich nach Julian um, aber er war nirgends zu sehen.
Die Soldaten folgten ihr und führten sie in ein Eßzimmer, das man zu einem Büro umfunktioniert hatte. Überall lagen Landkarten - am Boden und auf dem ehemaligen Eßtisch. Als sie eintrat, erhob sich der große, bärtige Mann, der am Tisch mit den Karten gesessen hatte. Das tat er sehr langsam, als ob es für ihn eine große Anstrengung bedeutete oder als ob er sehr, sehr müde wäre.
»General Longstreet, bitte«, fing Rhiannon an, »ich weiß, daß Sie ein sehr beschäftigter Mann sind und ich kaum ein Geheimnis darum gemacht habe, daß ich eine Unionsgetreue bin. Aber bitte sagen Sie mir doch, wo Julian ist! Lassen Sie ihn nicht dafür büßen. Man sagt doch, Sie seien einer der letzten Kavaliere, und dieser Mann hat mich geschlagen. Er hat gesagt, daß man mich erschießen solle. Sie müssen doch verstehen, daß Julian nur wie jeder wohlerzogene Südstaatler gehandelt hat - als ein Verfechter des Lebensstils, für dessen Aufrechterhaltung Sie doch gerade kämpfen. Er ist mir nur zu Hilfe gekommen ...«
»Mrs. McKenzie, Mrs. McKenzie«, murmelte der Mann und nahm ihre Hände in seine. »Ihrem Mann geht es gut.«
Für einen Soldaten, der so viele Schlachten und so viele Verluste hatte hinnehmen müssen, hatte er einen angenehmen Händedruck und ein freundliches Lächeln.
»Aber er steht doch unter Arrest!« sagte Rhiannon verwirrt.
»Nein, er bekommt neue Befehle, Mrs. McKenzie.«
»Wie bitte?«
»Kann ich Ihnen einen Brandy oder etwas anderes anbieten?«
»Nein, danke!« Sie schüttelte den Kopf. »Aber bitte ...«
»Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen mein aufrichtiges Bedauern mitzuteilen und mich für Colonel Sheers Verhalten zu entschuldigen. Er war einmal ein sehr guter Militär und ein gottesfürchtiger Mann.« Longstreet sprach mit dem langsamen, schleppenden Akzent des Südens, wodurch seine Worte noch viel tröstlicher klangen. »Mrs. McKenzie, jeder Mann und jede Frau hat in einem Krieg das Recht, sich zu entscheiden, für welche Seite er oder sie eintreten
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