Sieg des Herzens
Julian stand immer noch wie angewurzelt da und wagte nicht einmal, den Arm um seine Braut zu legen.
»Das wolltest du doch, oder nicht?« fragte er Rhiannon, die aussah, als ob sie jeden Moment ohnmächtig würde. »So oder so ist nun nichts mehr daran zu ändern«, fügte er kurz angebunden hinzu. »Trotzdem mußt du mich jetzt entschuldigen, Rhiannon, ich kann mich hier wirklich nicht noch länger aufhalten. Aber ich warne dich und bete zu Gott, daß du vernünftig genug bist, dich nicht in Gefahr zu bringen. Ich mag mich auf feindlichem Gebiet befinden, aber ich habe doch Mittel und Wege, um sicherzustellen, daß du nicht das Leben unseres Kindes aufs Spiel setzt, so wie bisher dein eigenes.«
Dann wandte er sich von ihr ab.
»Warte!« rief sie ihm nach, und er drehte sich noch einmal zu ihr um.
»Bitte, bleib! Nur noch eine Minute ...«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
Unvermittelt warf sie sich ihm in die Arme, und er roch wieder ihren verführerischen Rosenduft und spürte ihre Finger an seinem Haaransatz im Nacken. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und ihr Mund berührte seine Lippen, während ihre Zunge sich gegen seine Zähne drängte, bis er sich ihr schließlich öffnete. Erstaunt registrierte er noch, wie bereitwillig sie plötzlich auf ihn zukam. Aber all die Wochen der Enthaltsamkeit hatten seiner Beherrschung derart zugesetzt, daß ihn der Hunger nach ihr jetzt zu zerreißen drohte und sein Herz und seinen Verstand völlig vereinnahmte. Leidenschaftlich erwiderte er ihren Kuß, wobei er sie fest an sich gedrückt hielt und begierig ihren lieblichen Duft in sich aufsog, jede Sekunde genießend ...
Dann drangen allmählich Geräusche zu ihm durch, die jenseits der Kirchenmauern näher zu kommen schienen, und er realisierte, daß Rhiannon sich ihm gleichzeitig zu entziehen begann. Ihre Lippen waren nur einen Zentimeter von seinen entfernt und immer noch feucht von der Leidenschaft ihres Kusses, als sie ihm zuraunte: »Es tut mir leid, Julian. Aber du wärst sonst gestorben.«
Ihre plötzliche Hingabe - alles nur ein Trick! Er hatte doch recht behalten und sich zum größten Trottel der gesamten Südstaaten gemacht. Sie hatte ihn hierhergelockt, genau den richtigen Zeitpunkt abgepaßt und die Yankees zunächst auf Distanz gehalten, da sie wußte, daß er mit einer Falle rechnen würde. Aber jetzt war es zu spät. Still und leise waren sie herangerückt und standen nun draußen vor der Kirche, bereit hereinzustürmen, um ihn zu ergreifen, wenn er sich zu sehr zu seiner Braut hingezogen fühlen sollte.
Er trug einen Colt am Gürtel, obwohl er eigentlich keine Waffe brauchte, denn er war Arzt - Chirurg -, kein Stratege und damit nicht die übliche Yankee-Beute. Auch wenn einige Nordstaatler sicher lieber sterben würden, als einen Chirurgen der Rebellen an sich heranzulassen, respektierten die gegnerischen Soldaten seinen Berufsstand, und die meisten hätten sich bestimmt auch von ihm behandeln lassen, wenn dadurch ein Arm, ein Bein oder gar ihr Leben gerettet werden konnte.
Es war sinnlos, den Colt gegen die Männer zu ziehen, die ihn ergreifen sollten, dachte er verbittert. Bevor er damit hätte etwas ausrichten können, wäre er selbst in einem Kugelhagel ums Leben gekommen. Sie würden ihn niederschießen, bevor er die Tür erreicht hätte. Und er wollte leben! Außerdem ergab sich vielleicht später - wenn er wieder bei klarem Verstand war - eine Gelegenheit, um auszubrechen, ohne dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Er machte sich von Rhiannon los und starrte ihr in die Augen. Da stand die ganze Wahrheit geschrieben. Jede kleine Kleinigkeit. Sie hatte das alles geplant, damit er gefangengenommen wurde. Und als höchsten Trumpf hatte sie in allerletzter Minute den Kuß eingebracht, damit er die Kirche nicht zu schnell verließ.
»Du Schlange!« zischte er ihr zu.
»Ich hab' doch gesagt, daß es mir leid tut!«
Noch einmal nahm er sie bei der Taille und sah sie mit eisigem Blick an. Dabei hielt er sie so fest an sich gedrückt, daß ihr der Rücken weh tat und ihr der Kopf nach hinten fiel. Dann preßte er zwischen den Zähnen hervor: »Mein geliebtes Eheweib, eins kann ich dir versprechen: Ich sorge dafür, daß dir das noch einmal sehr, sehr leid tun wird.«
Sie schüttelte den Kopf, aufgebracht darüber, daß er sie so grob festhielt und sie nicht stark genug war, sich von ihm loszumachen. »Du willst es einfach nicht verstehen, du Rebell! Ich bin
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