Siegfried
er ihre Beziehung sofort beendet. Auch im Winter öffneten sie weit die Fenster, denn vielleicht roch eine der SS-Wachen den Rauch und erstattete Brückner Rapport, der wiederum meldete es womöglich Bormann, der dann ganz bestimmt dafür sorgte, daß der Führer davon hörte. Reichsleiter Bormann war sein mächtiger, halbanonymer Sekretär, der seinen Kalender führte und seine Finanzen verwaltete. Fräulein Braun haßte ihn. Dieser grobknochige Knecht, an dessen Arm sie bei Gesellschaften immer aus der großen Halle in den Speisesaal gehen mußte, hatte ihrer Meinung nach viel zuviel Einfluß auf ihren Adi – während sie ihm wiederum nicht ganz geheuer war, denn sie entzog sich seiner Kontrolle. Doch Bormann verstand es, sich unentbehrlich zu machen. Einmal hatte der Chef sich beklagt, daß ihm beim regelmäßigen Defilee seiner Bewunderer und vor allem Bewunderinnen die Sonne störe – am nächsten Tag stand ein dichtbelaubter Baum dort. Ein andermal hatte der Führer erwähnt, daß ein Bauernhof in der Ferne doch eigentlich das Panorama verunziere – am nächsten Tag war der Hof verschwunden. Ja, dachte Herter, das ist absolute Macht. Er brauchte Bormann keine Befehle zu erteilen, da mit etwas geschah, er hatte Macht über Menschen, wie andere sie nur über ihren Körper haben. Wenn jemand ein Glas vom Tisch nehmen will, dann muß er seiner Hand nicht erst den Befehl dazu geben: Er tut es einfach. Im Vergleich zu Hitler waren alle gelähmt.
Fräulein Braun kannte Hitler, seit sie siebzehn war, als sie, noch vor der Machtübernahme, im Laden von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann in München arbeitete; einmal hatte sie Julia erzählt, am liebsten habe sie in der Dunkelkammer gearbeitet. Die Betreuung des Fotoarchivs hatte offensichtlich zu ihrer merkwürdigen Angewohnheit geführt, peinlich genau über ihre reichhaltige Garderobe Buch zu führen, mit detaillierten Beschreibungen, Zeichnungen und beigehefteten Stoffmustern. Sie zog sich übrigens vier- bis fünfmal am Tag um, auch wenn es dafür keinen einzigen Grund gab. Sie liebte es, Sonnenbäder zu nehmen, doch auch das hatte der Chef ihr verboten, er haßte braungebrannte Haut. Hitler, fiel Falk ein, hatte die Sonne gehaßt. Auch im Sommer trug er auf der Terrasse immer seine Uniformmütze oder einen Hut. Der Berghof habe auf der Nordseite einer riesigen Alp gelegen, in deren Schlagschatten es im Winter bereits mittags bitter kalt wurde, und das war natürlich Absicht. In der neuen Reichskanzlei in Berlin hätten seine Zimmer auch nach Norden gelegen. Helles elektrisches Licht habe er ebenfalls nicht vertragen können. In seinem Arbeitszimmer sei nie mehr als eine Schirmlampe eingeschaltet gewesen. Mit Blitzlicht wollte er nicht fotografiert werden. Der Feind des Lichts , dachte Herter, – war das nicht vielleicht ein geeigneter Titel für seine Geschichte? Oder lieber doch gleich: Der Fürst der Finsternis? Nein, das war zuviel des Guten. In seiner Münchener Zeit, vertraute Fräulein Braun Julia an, habe der fanatische Volkstribun ein Verhältnis mit seiner Nichte gehabt, doch die habe Selbstmord begangen, als er einen kurzen Flirt mit ihr, Eva, anfing. Auch vier oder fünf andere seiner Freundinnen hätten Selbstmordversuche unternommen, doch nur dieser sei erfolgreich gewesen. Der Führer selbst wollte sich danach auch das Leben nehmen, hatte Falk einmal Hitlers damaligen Stellvertreter Rudolf Heß sagen hören, der ihm die Pistole aus der Hand reißen mußte. Auf dem Berghof flüsterte man, seine Nichte sei damals schwanger gewesen; jedenfalls war er von diesem Zeitpunkt an Vegetarier. Das also, dachte Herter, war die Reaktion eines Nekrophilen. Julia mußte jeden Tag frische Blumen vor ihr Porträt im großen Empfangssaal legen. Zu der Zeit habe auch Fräulein Braun sich einmal auf sehr ungeschickte Weise eine Kugel in den Hals geschossen, als er sie wegen seiner vielen Arbeit monatelang vernachlässigte; das habe ihn endgültig an sie gebunden. Ein Jahr bevor sie selbst auf den Berghof kamen, habe Fräulein Braun in München noch einen zweiten Selbstmordversuch unternommen, danach holte er sie zu sich auf den Obersalzberg.
»Er war also fähig zu lieben«, nickte Herter, »doch gleichzeitig dünstete er auch in seinem Privatleben den Tod aus.«
»Ich weiß nicht, ob es Liebe war«, sagte Falk mit starrem Gesichtsausdruck.
»War er nicht vielleicht doch irgendwo, im hintersten Winkel seines Wesens, ein bißchen gut?« »Nein.«
»Er
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