Siegfried
liebte seinen Hund.«
»An dem hat er am Ende das Gift ausprobiert, bevor er es Fräulein Braun gab.«
»Aber Fräulein Braun war sehr wohl zur Liebe fähig«, sagte Julia. »Wenn er nicht auf dem Berghof war und sie allein essen mußte, wollte sie immer, daß ich sein Foto an ihren Teller stellte.« Schweigend schaute Herter sie kurz an, während er die Szene vor sich sah: die einsame Frau am Tisch mit dem Porträt ihres Geliebten, durch dessen Tun auch damals schon Hunderte umkamen, wenig später dann Tausende und schließlich Millionen.
»Aber sie aß sehr wenig und unregelmäßig«, sagte Falk.
»Nach den Mahlzeiten nahm sie übrigens immer ein Abführmittel. Sie hatte eine Heidenangst, dick zu werden.«
»Das heißt, sie litt an Anorexie; doch dieses Krankheitsbild kannte man damals vielleicht noch gar nicht. Und Hitler selbst? Was war Ihr erster Eindruck vom Führer?«
Falk ignorierte den ironischen Tonfall, mit dem Herter das Wort »Führer« aussprach. Sein Blick schweifte Richtung Fenster, das auf einen ungepflegten Innenhof hinausging. Dort war etwas zu sehen, das nur er sah. Der recht schläfrige Ablauf der Tage, während er auf dem Berghof eingewiesen wurde, war einer nervösen, aufgeregten Atmosphäre gewichen. Am Nachmittag bog plötzlich die Kolonne von Mercedes-Cabriolets in die Zufahrt ein und hielt vor der pompösen Treppe. Es war, sagte Falk, und er wußte, daß es eigentlich unerklärlich war, als würde es plötzlich eiskalt und alles gefriere. Durch ein Küchenfenster beob achtete er, wie Hitler ausstieg und einen Moment das überwältigende Alpenpanorama um sich herum betrachtete, während er mit einem kurzen Ruck sein Koppel ein wenig nach unten zog. Der Schirm seiner Uniformmütze war etwas größer als der der anderen und saß auch tiefer über den Augen. Da stand er, der Führer, exakt da, wo er stand, und nirgendwo anders. Er war kleiner, als Falk ihn sich vorgestellt hatte. Mit seiner gleichzeitig geschmeidigen und hölzernen Motorik hatte er etwas von einer lebenden Bronzestatue, wodurch um ihn herum eine merkwürdige Leere entstand, die, so als gäbe es ihn nicht, auf seltsame Weise dort am größten war, wo er sich befand. Jede Bronzestatue war hohl und leer – doch in seinem Fall ging von dieser Leere eine Art Sog aus, so wie vom Hohlraum in der Mitte eines Strudels. Ein unbeschreibliches Phänomen.
»Alles Theater«, sagte Julia und zuckte die Achseln. »In der Öffentlichkeit spielte er immer Theater. Vor allem, wenn er Uniform trug.« »Vielleicht kann man also sagen, daß Hitler Hitler spielte«, meinte Herter, »so wie ein Schauspieler einen mörderischen König von Shakespeare spielt, nur mit echten Morden. Wenn er zwischen den Akten in den Kulissen verschwindet, verwandelt er sich in einen unauffälligen Mann, der sich eine Zigarette anzündet.« Julia lachte laut auf.
»Hitler und eine Zigarette!«
»Ich weiß nicht«, sagte Falk. »Vielleicht verhält es sich so, wie Sie sagen. Aber nicht nur. Mein ganzes Leben denke ich schon über ihn nach, doch es bleibt immer ein Rest, den ich auch heute noch nicht erklären kann, nach mehr als einem halben Jahrhundert. In zwei Jahren ist er bereits genauso lange tot, wie er gelebt hat.« Offensichtlich hatte auch er sich die Mühe gemacht, dies auszurechnen. Falk schüttelte den Kopf. »Für mich wird er mit jedem Tag unerklärlicher.«
Ansonsten erkannte er in Hitlers Gefolge nur die gedrungene Gestalt Bormanns. Wie wild rannte Hitlers Schäferhündin Blondi die Stufen hinunter, jaulend vor Freude legte sie ihre Pfoten auf sein Koppel, worauf er ihren Kopf zwischen seine behandschuhten Hände nahm, um kurz seine Lippen darauf zu drücken. Oben an der Treppe stand Fräulein Braun in einem luftigen Sommerkleid mit kurzen Ärmeln …
»Ich wußte«, unterbrach Julia ihn, »daß sie vorher extra ein paar Taschentücher in ihren BH gestopft hatte.«
Hinter ihr stand eine Gruppe von Offizieren der SS-Leibstandarte Adolf Hitler, in schwarzer Uniform, mit weißer Koppel und stramm erhobenem rechten Arm, die Hände in weißen Handschuhen. Hitler nahm seine Mütze ab, so daß seine auffallend blasse Stirn sichtbar wurde, und gab ihr einen galanten Handkuß; die anderen begrüßte er, indem er lässig die Fläche seiner rechten Hand hob, als wolle er ein Tablett darauf tragen. Anschließend ging er mit Blondi, seiner Freundin und deren zwei schottischen Terriern über die Galerie ins Haus. Julia wußte zu berichten, daß Fräulein
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