Siegfried
mit Frau Mittlstrasser, der Gattin des Hausmeisters, deckten wir gerade den Tisch für das Mittagessen. Das mußte immer sehr sorgfältig geschehen, denn manchmal kniete der Chef sich hin und kontrollierte mit einem zugekniffenen Auge, ob alle Gläser sauber in einer Reihe standen.«
»Das war sein architektonischer Blick«, nickte Herter. »Auf diese Weise betrachtete er auch Speers Modelle von Germania und seine in Formation angetretenen Truppen.«
»Plötzlich erschien Linge im Speisesaal und meldete, der Führer wolle uns sprechen.« »Linge?« fragte Herter. »Das war der Nachfolger von Krause.«
»Wir waren zu Tode erschrocken«, sagte Julia. »Wenn er etwas von uns wollte, rief er immer selbst an, wir wurden nie offiziell zu ihm gerufen.«
Oben, in seinem Arbeitszimmer, wo er mit Schreien und Drohungen ganze Länder in die Knie gezwungen hatte, saß eine kleine Gesellschaft auf der breiten Couch und in den Sesseln: der Chef und Fräulein Braun, Bormann, der massige Hofmarschall Brückner und der Hausmeister, auch ein Offizier. Ängstlich blieben die beiden stehen; die Spannung in dem Zimmer war greifbar, doch Brückner gab Linge Order, zwei Stühle aus der Bibliothek zu holen. Das war auf jeden Fall beruhigend, machte die Situation jedoch nur noch unerklärlicher. Was sollten sie beide, zwei untergeordnete Hausangestellte in den Zwanzigern, bei all den hohen Herren? Als sie auf den geraden Bauernstühlen Platz genommen hatten, warf Brückner Linge einen unmißverständlichen Blick zu, der ihm befahl, das Zimmer auf der Stelle zu verlassen.
Während seine zierliche Hand auf dem Nacken Blondis ruhte, die mit gespitzten Ohren neben seinem Sessel saß wie ein stolzes Wesen aus einer anderen, unschuldigeren Welt, sagte Hitler, dies sei zweifellos der wichtigste Tag in ihrem Leben, denn er habe beschlossen, eine welthistorische Aufgabe auf ihre Schultern zu legen. Er schwieg einen Moment und sah zur Chefin, die blaß zwischen den beiden Offizieren Brückner und Mittlstrasser auf der Couch saß.
»Herr Falk, gnädige Frau«, sagte Hitler förmlich, »ich werde Ihnen ein Staatsgeheimnis verraten: Fräulein Braun erwartet ein Kind.«
11
»Nein!« rief Herter. »Das ist nicht wahr!« War das möglich? Fassungslos versuchte er, sich diese Mitteilung klarzumachen. Hatten diese beiden steinalten Menschen hier in diesem Altersheim vor mehr als sechzig Jahren tatsächlich diese Worte aus dem Mund unter dem viereckigen Schnurrbart vernommen? Diese Nachricht war vielleicht nicht welthistorisch, auf jeden Fall aber welterschütternd. Hitler hatte ein Kind! Auf die Idee wäre er im Leben nicht gekommen – doch so funktionierte die Wirklichkeit eben: Sie war der Phantasie immer einen Schritt voraus. Am liebsten erführe er jetzt in zehn Sätzen, wie die Geschichte weiterging. Wo war das Kind? Lebte es noch? Doch sein Instinkt sagte ihm, daß er die beiden das Tempo bestimmen lassen mußte; sie waren alt, alles ging dann langsamer vonstatten, auch das Erzählen einer Geschichte.
»Wir waren genauso erschüttert wie Sie«, sagte Julia. »Wir wußten nicht, was das alles sollte. Daß Fräulein Braun ein Kind vom Chef erwartete, war an und für sich nicht so außergewöhnlich. Solche Dinge passieren nun mal, auch in herrschaftlichen Kreisen, dort besonders, vermutlich. Mir war im übrigen schon aufgefallen, daß sie in den letzten Wochen immer wieder Appetit auf Heringe und saure Gurken hatte. Aber was hatten wir damit zu tun? Was war das für eine Aufgabe, die auf unsere Schultern gelegt werden sollte?«
Das erklärte ihnen in den folgenden Minuten
Bormann. Das Problem sei, sagte er, daß alle deutschen Frauen gerne ein Kind vom Führer hätten. Ihre Söhne nannten sie sowieso schon Adolf. Wenn er jetzt Fräulein Braun heiratete und sich dann auch noch herausstellte, daß er Vater eines Kindes wurde, das angeblich zwei Monate zu früh zur Welt kam, dann würden die Frauen das Gefühl haben, von ihm betrogen worden zu sein, und das sei aus politischen Gründen nicht wünschenswert – denn schließlich seien es seinerzeit vor allem die Frauen gewesen, die ihn an die Macht gebracht hätten. Brückner fing laut an zu lachen und sagte, der Reichsleiter verstehe es doch immer wieder, die Sachen auf den Punkt zu bringen. Fräulein Braun ärgerte sich offensichtlich darüber, doch auch der Chef mußte kurz lachen, wobei sich für einen Moment seine Augen völlig verdrehten, als sähen sie in sein Innerstes, in die Finsternis
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