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Siegfried

Siegfried

Titel: Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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müsse er sich selbst Mut machen. Auch Stasi und Negus witterten Unrat und begannen zu bellen.
    ›Mein Gott‹, sagte Frau Köppe, ›was hat das zu bedeuten?‹
    Als er ins Zimmer trat, schlug er die Hacken zusammen, machte den deutschen Gruß und sagte förmlich: ›Heil Hitler.‹ Das war nicht üblich auf dem Berghof, und wir murmelten also auch irgend so was. Nur Siggi sah ihn mit großen Augen an. Bormann nahm seine Mütze nicht ab und fixierte Frau Köppe, die diesen Wink verstand und den Raum verließ. Dann sagte er zu Fräulein Braun, der Führer habe den Wunsch geäußert, sie in dieser schweren Zeit in seiner Nähe zu haben.« »Uns fiel ein Stein vom Herzen«, fuhr Julia fort, »Fräulein Brauns Miene hellte sich völlig auf. Sie fragte, wann sie abreisen solle. Jetzt sofort, sagte Bormann; draußen warte ein Wagen, der sie zum Flugplatz nach Salzburg bringen würde, wo eine Maschine bereitstünde. ›Und Siggi?‹ höre ich sie noch fragen – Siggi fahre doch sicher auch mit, genau wie Ullrich und ich? Nein, sagte Bormann, der Führer habe beschlossen, der Junge solle bei seinen gesetzlichen Eltern auf dem Berghof bleiben. Die Wolfsschanze sei keine Umgebung für ein Kind; außerdem sei es zu gefährlich, so nah an der Front.«
    »Jetzt war sie natürlich in einem Konflikt«, sagte Falk, »doch sie wußte auch, daß an einem Entschluß des Führers nicht zu rütteln war. Bormann hatte sich immer noch nicht gerührt. Er sagte, sie solle sofort packen; mir teilte er kurz angebunden mit, daß er mich später noch zu sprechen wünsche. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte zum Zimmer hinaus.« Die Koffer, die den Berghof bereits einmal leer verlassen hatten, wurden nun gepackt – vor allem von Julia. Sie berichtete, daß Fräulein Braun währenddessen die meiste Zeit auf dem Rand des Bettes saß, einen Arm um Siggis Schultern gelegt, der mit einem kleinen Kompaß spielte. Sie hatte Tränen in den Augen und sagte, sie werde ihn ganz oft besuchen. Offensichtlich verstand er nicht, warum Tante Effi so schrecklich traurig war, denn schließlich fuhr sie zu Onkel Wolf, der gerade Krieg führte. Später, wenn er groß sei, hatte er einmal gesagt, dann würde er selbst auch gern Krieg führen. Der Chef hatte damals Tränen gelacht.
    Fräulein Braun rief ihre Verwandten in München an, denn in der Wolfsschanze war sie nicht zu erreichen. Kurze Zeit später waren alle in der Halle angetreten – auch Frau Bormann und ihre Kinder, die Bormann immer auf dem Obersalzberg zurückließ, so daß er freie Hand bei den Mädchen im Hauptquartier hatte. Der Abschied war förmlich. Fräulein Braun gab Julia und Ullrich die Hand, Siggi bekam einen Kuß auf die Stirn, auch die Terrier wurden geküßt, von der großen Treppe aus winkten sie ihr zu, als sie in den zweiten Wagen stieg, wo neben dem Fahrer auch ein Gestapo-Mann saß.
    »Eine Stunde später«, sagte Falk, »kam ein Adjutant von Bormann und sagte, der Reichsleiter erwarte mich in seinem Haus.«
    »Ich weiß nicht, wieso«, sagte Julia, »doch ich hatte aus irgendeinem Grund sofort das Gefühl, daß noch etwas in der Luft lag. Ich ging mit Siggi in sein Zimmer, wo der Fußboden voller Soldaten war, die gerade einen Sturmangriff machten. Ich weiß noch, wie er sagte, er fände es langweilig, daß er nur deutsche Soldaten habe; eigentlich brauche man doch auch russische, um gewinnen zu können, doch die gebe es nicht. So, ohne Feind, könne man nicht einmal verlieren.«
    Herter mußte an Marnix denken. Auch der könnte das gesagt haben, aber er spielte nicht mehr mit bewegungslosen Soldaten, er spielte Computerspiele, bei denen man einen sichtbaren Feind vernichten mußte. Er, Herter selbst, elf Jahre älter als Siegfried Falk alias Braun alias Hitler, hatte vor dem Krieg auch noch mit Soldaten gespielt, auch in deutschen Uniformen, ohne daß er je ein feindliches Heer vermißt hätte. Offensichtlich war es ihm nicht so sehr auf die Darstellung eines Kampfes angekommen, sondern auf den Entwurf von imposanten Tableaux vivants, nicht wie ein General, sondern wie ein Regisseur. Vielleicht hatte Hitler, der Theatermann, der sich für den größten Feldherrn aller Zeiten hielt, auch nur auf theatralische Weise mit Soldaten gespielt, allerdings solchen aus Fleisch und Blut. Zu Bormanns Villa, die etwas kleiner war als der Berghof, aber größer als Görings Chalet, ging man fünf Minuten zu Fuß. Die Sonne beschien den Hang, den er hinaufging, Gärtner

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