Sieh dich nicht um
Ankunft am Minneapolis St. Paul Airport ging Sandy Savarano direkt zur Gepäckausgabe, um seinen schweren schwarzen Koffer zu holen. Dann suchte er die Herrentoilette auf und schloß sich dort in einer Kabine ein, wo er den Koffer auf die Toilettenschüssel stellte und aufklappte.
Er holte einen Handspiegel und einen Kulturbeutel heraus, der eine graue Perücke, buschige graue Augenbrauen und eine runde Brille mit Schildpattrahmen enthielt.
Dann entfernte er die Kontaktlinsen. Die Augen darunter waren dunkelbraun. Geschickt stülpte er sich die Perücke über, kämmte sich die Fransen in die Stirn, klebte die Augenb rauen fest und setzte die Brille auf.
Mit einem Schminkstift malte er sich Leberflecke auf Stirn und Handrücken. Einer Seitentasche seines Koffers entnahm er orthopädische Schnürschuhe, die er anstelle seiner Gucci-Slipper anzog.
Schließlich entfaltete er einen schweren Tweedmantel mit dicken Schulterpolstern und packte den Trenchcoat, den er beim Aussteigen aus dem Flugzeug getragen hatte, in den Koffer.
Der Mann, der die Kabine verließ, wirkte zwanzig Jahre älter als der, der hineingegangen war, und sah ihm nicht im mindesten ähnlich.
Sandy begab sich zum Schalter der Autovermietung, bei der er einen Wagen auf den Namen James Burgess, wohnhaft in Philadelphia, reserviert hatte. Aus seiner Brieftasche zog er einen Führerschein und eine Kreditkarte – der Führerschein war eine geschickte Fälschung, die Kreditkarte hingegen echt, denn er hatte als James Burgess ein Konto eröffnet.
Als Sandy aus der Ankunftshalle kam, schlug ihm eiskalte
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Luft entgegen. Er stellte sich zu den Leuten, die auf den kostenlosen Pendelbus zum Parkplatz der Autovermietung warteten. Dort studierte er die Karte, auf der die Angestellte den Weg zum Hotel eingezeichnet hatte. Er prägte sich die wichtigsten Ausfallstraßen ein und berechnete die Zeit, die er brauchen würde, um in die Stadt zu fahren und sie wieder zu verlassen. Er plante am liebsten alles sorgfältig im voraus. Sein Motto lautete: keine Überraschungen. Vor allem aus diesem Grund fand er es besonders ärgerlich, daß Lacey Farrell plötzlich in Mrs. Warings Wohnung aufgetaucht war. Er war überrascht worden und hatte deshalb den Fehler begangen, sie entkommen zu lassen.
Er wußte, daß er hauptsächlich deshalb noch ein freier Mann war, weil er auf jedes Detail achtete. So viele Jungs, mit denen er damals in der Besserungsanstalt gewesen war, saßen heute hinter Schloß und Riegel. Beim bloßen Gedanken daran lief ihm ein Schauer über den Rücken.
Eine Zellentür fiel krachend ins Schloß… Schon beim Aufwachen wußte er, daß er in der Falle saß und daß sich daran nie wieder etwas ändern würde… Wände und Decke kamen immer näher, drohten ihn zu erdrücken und zu ersticken…
Sandy spürte, wie sich auf seiner Stirn unter den ordentlich zurechtgekämmten Haarsträhnen Schweißperlen bildeten. Mir passiert das nicht, schwor er sich. Lieber würde ich sterben.
Der Pendelbus näherte sich. Ungeduldig hob Sandy den Arm, um das Fahrzeug anzuhalten. Er brannte darauf, sich auf die Suche nach Lacey Farrell zu machen. Solange sie lebte, war seine Freiheit in Gefahr.
Als der Bus stoppte, spürte Sandy, wie etwas gegen seine Waden stieß. Er fuhr herum und stand vor der jungen Frau, die im Flugzeug neben ihm gesessen hatte. Ihr Koffer war umgekippt.
Ihre Blicke trafen sich, und Sandy holte tief Luft. Obwohl sie
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nur wenige Zentimeter voneinander trennten, sah sie ihn an wie einen völlig Fremden. Sie lächelte entschuldigend. »Tut mir leid«, sagte sie.
Die Türen des Busses gingen auf. Savarano stieg ein. Die ungeschickte Frau hatte ihm eben bestätigt, daß er sich in dieser Verkleidung an Lacey Farrell heranpirschen konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß sie ihn erkannte. Diesmal hatte sie keine Chance, ihm zu entkommen. Er würde seinen Fehler nicht wiederholen.
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Da Millicent Royce einverstanden war, sie auf Probe bei sich arbeiten zu lassen, schlug Lacey vor, daß sie sich während des restlichen Nachmittags mit dem Büro vertraut machte, indem sie sich die Dateien im Computer ansah und die Post durchging, die sich auf dem Empfangstisch stapelte.
Nach vier Monaten erzwungener Untätigkeit war es eine wahre Freude, wieder an einem Schreibtisch zu sitzen, die Angebote durchzublättern und die Immobilienpreise in der Gegend zu studieren, die zum Einzugsgebiet der Maklerfirma gehörte.
Als Mrs. Royce um drei
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