Sieh dich nicht um
Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden waren. Daher wußte er, daß Regierungsbehörden keine falschen Arbeitszeugnisse ausstellten. Die meisten Betroffenen mußten deshalb in kleinen Betrieben anfangen, wo sie jemanden kannten, der sie auch ohne Referenzen nahm.
Die Stewardeß machte ihre Ansage: »Wir beginnen mit dem Landeanflug. Bitte bringen Sie Ihre Sitzlehnen in eine aufrechte Stellung, und schnallen Sie sich an.«
Sandy Savarano freute sich schon auf das Gesicht, das Lacey Farrell machen würde, wenn er sie erschoß.
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27
Das Büro von Royce Realty lag an der Ecke 50. Straße und France Avenue in Edina. Bevor Lacey aufbrach, suchte sie auf dem Stadtplan nach dem kürzesten Weg. Ihre Mutter hatte einmal gesagt, sie fände es erstaunlich, daß ein praktischer Mensch wie Lacey so einen miserablen Orientierungssinn hatte.
Damit hatte sie eindeutig recht, dachte Lacey kopfschüttelnd. In New York war alles so einfach gewesen. Sie hatte mit ihrem Kunden ein Taxi genommen und sich zur gewünschten Adresse bringen lassen. Doch bei einer flächenmäßig weit ausgedehnten Stadt wie Minneapolis, wo es so viele Vororte gab, war es nicht ganz so leicht. Wie soll ich jemals einem Interessenten ein Haus vorführen, wenn ich mich alle fünf Minuten verfahre? fragte sie sich.
Mit Hilfe der Karte erreichte sie schließlich doch das Maklerbüro, und sie war nur ein einziges Mal falsch abgebogen.
Sie stellte ihr Auto ab, stieg aus und blieb einen Moment vor dem Eingang stehen.
Durch die große Glastür konnte sie das kleine, aber geschmackvoll ausgestattete Büro sehen. An den eichengetäfelten Wänden im Empfangsbereich hingen Photos verschiedener Häuser. Der Raum war mit einem fröhlichen, rot und blau karierten Teppich, einem Büroschreibtisch und bequem wirkenden Ledersesseln möbliert. Ein kurzer Flur führte in ein weiteres Büro, wo eine Frau am Schreibtisch saß und arbeitete.
Jetzt wird es ernst, dachte sie und atmete tief durch. Wenn ich es schaffe, mich glaubwürdig darzustellen, kann ich noch Karriere am Broadway machen. Das heißt, falls ich jemals nach New York zurückkehren darf. Ein Glöckchen klingelte, als sie die Tür öffnete. Die Frau blickte auf, erhob sich und kam auf sie
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zu.
»Ich bin Millicent Royce«, sagte sie und streckte Lacey die Hand hin. »Und Sie sind bestimmt Alice Carroll.«
Lacey mochte die Frau auf den ersten Blick. Sie sah gut aus, war etwa siebzig Jahre alt und rundlich und trug ein elegantes, braunes Strickkostüm. Ihr faltenloses Gesicht war ungeschminkt. Das schimmernde grauweiße Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, eine Frisur, die Lacey an ihre Großmutter erinnerte.
Millicent Royce lächelte zwar freundlich, doch als Lacey sich setzte, bemerkte sie, daß ihre zukünftige Arbeitgeberin sie aus blauen Augen forschend musterte. Lacey war froh, daß sie die rotbraune Jacke und die graue Hose angezogen hatte. Sie wirkten gleichzeitig konservativ und modisch seriös, aber mit dem gewissen Etwas. Außerdem hatten ihr die Sachen bei früheren Hausverkäufen immer Glück gebracht. Vielleicht trugen sie ja auch heute dazu bei, daß sie die Stelle bekam.
Nachdem Millicent Royce Lacey einen Platz angeboten hatte, setzte sie sich ihr gegenüber. »Heute geht es entsetzlich rund hier«, sagte sie entschuldigend. »Deshalb habe ich nicht viel Zeit. Erzählen Sie mir etwas über sich, Alice.«
Lacey fühlte sich wie bei einem Polizeiverhör im Licht eines grellen Scheinwerfers. Während sie antwortete, blickte Millicent Royce sie weiter an. »Wo soll ich anfangen? Ich bin vor kurzem dreißig geworden. Ich bin gesund. Mein Leben hat sich in letzter Zeit sehr verändert.«
Zumindest das stimmt, dachte Lacey.
»Ich komme aus Hartford, Connecticut. Nach dem College habe ich acht Jahre lang bei einem Arzt gearbeitet, der inzwischen seine Praxis aufgegeben hat.«
»Worin bestand Ihre Tätigkeit?« fragte Mrs. Royce.
»Empfang. Allgemeine Büroarbeiten. Ein wenig Buchhaltung.
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Ausfüllen von Formularen.«
»Dann kennen Sie sich also mit Computern aus?«
»Ja.« Sie bemerkte, daß der Blick der alten Dame zum PC im Empfangsbereich wanderte, wo sich die Papiere stapelten.
»Ihre Aufgabe wäre, Telephonate entgegenzunehmen, Handzettel mit neuen Angeboten zu erstellen, Interessenten anzurufen, wenn ein neues Angebot hereinkommt, und alles für die Besichtigung vorzubereiten. Das eigentliche Verkaufsgespräch ist meine Sache. Aber eines würde ich noch
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