Sieh dich nicht um
reden, überlegte Lacey. Und als ich Curtis Caldwell die Wohnung zeigte, hat sie sich in die Bibliothek
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zurückgezogen und das Tagebuch gelesen. Und ein paar Stunden später war sie tot.
Als Lacey die Szene Revue passieren ließ, blieb ihr der letzte Bissen ihres Sandwichs fast im Hals stecken. Isabelle hatte in der Bibliothek weinend über Heathers Tagebuch gesessen. Noch im Sterben hatte sie Lacey angefleht, das Tagebuch Heathers Vater zu übergeben.
Was kam mir damals merkwürdig vor? fragte sich Lacey.
Irgend etwas ist mir an jenem letzten Nachmittag in der Bibliothek aufgefallen, als ich mit Isabelle sprach. Was kann es bloß gewesen sein? Sie ging den ganzen Nachmittag im Geiste noch einmal durch und versuchte, sich zu erinnern.
Schließlich gab sie auf. Sie kam einfach nicht drauf.
Laß es erst mal gut sein, sagte sich Lacey. Ich strenge meine grauen Zellen später an. Schließlich funktioniert das Gehirn doch wie ein Computer.
In dieser Nacht sah sie im Traum immer wieder Isabelle in den letzten Stunden ihres Lebens. Sie hielt einen grünen Stift in der Hand und las unter Tränen Heathers Tagebuch.
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31
Sandy Savarano war im Radisson Plaza Hotel abgestiegen, einen halben Block vom Nicollet-Einkaufszentrum entfernt; den Rest des Tages verbrachte er damit, aus dem Telephonbuch von Minneapolis Nummer und Anschrift von Fitneßcentern herauszusuchen.
Dann stellte er eine zweite Liste aller Immobilienmakler zusammen und sortierte diejenigen Firmen aus, die sich auf den Handel mit Gewerbeobjekten spezialisiert hatten. Letztere würden Lacey Farrell, die ohne Zeugnisse auf Jobsuche gehen mußte, wohl kaum einstellen. Bei den anderen wollte er morgen anrufen.
Er hatte vor zu behaupten, er führe für die bundesweite Vereinigung der Immobilienmakler eine Umfrage durch. Die neuesten Daten wiesen nämlich darauf hin, daß die Gruppe der 25- bis 35-jährigen nur ungern einen Beruf in der Immobilienbranche ergreife. Im Rahmen der Erhebung wolle er nur zwei Fragen stellen: Hatte das Maklerbüro im letzten halben Jahr jemanden aus dieser Altersgruppe als Makler, fürs Sekretariat oder für den Empfang eingestellt? Und wenn ja: einen Mann oder eine Frau?
Bei der Überprüfung der Fitneßstudios mußte er anders vorgehen. Mit einer solchen angeblichen Umfrage war es hier nicht getan, denn die meisten Mitglieder stammten wohl ohnehin aus der fraglichen Altersgruppe. Lacey Farrell über die Clubs aufzuspüren war also riskanter.
Dort würde er persönlich erscheinen und sich als Interessent ausgeben müssen. Dann würde er Lacey Farrells Photo herumzeigen. Es war ein altes Bild, das er aus ihrem College-Jahrbuch ausgeschnitten hatte, aber es war ihr noch sehr ähnlich.
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Er würde behaupten, sie sei seine Tochter und habe nach einem Streit mit ihrer Familie gebrochen. Jetzt wolle er sie finden, weil die Mutter krank vor Sorge um die Tochter sei.
Die Überprüfung der Fitneßstudios war ein Schuß ins Leere, aber glücklicherweise gab es im Großraum Minneapolis nicht besonders viele. Die Sache war also in relativ kurzer Zeit zu erledigen.
Um fünf vor zehn machte Sandy nach getaner Arbeit einen Spaziergang. Das Einkaufszentrum war jetzt dunkel, die Fenster der eleganten Geschäfte leuchteten nicht mehr.
Wie Sandy wußte, war der Mississippi vom Hotel aus zu Fuß zu erreichen. Er bog rechts ab und ging in Richtung Fluß.
Passanten mochten den einsamen Spaziergänger für einen Mann jenseits der Sechzig halten, der sich um diese Zeit besser nicht allein auf die Straße wagen sollte.
Allerdings konnte niemand ahnen, wie unbegründet diese Sorge war, denn Sandy Savarano verspürte keine Angst, sondern jene merkwürdige Erregung, die ihn immer ergriff, wenn er sich an sein Opfer heranpirschte und dessen Witterung aufgenommen hatte.
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32
Als Millicent Royce am Dienstag morgen um neun vor ihrem Maklerbüro eintraf, wartete Lacey bereits.
»So gut bezahlen wir nun auch wieder nicht«, sagte Millicent Royce lachend.
»Sie bezahlen das, was wir vereinbart haben«, erwiderte Lacey. »Und ich weiß jetzt schon, daß mir der Job gefällt.«
Mrs. Royce schloß auf. Drinnen war es angenehm warm.
»Der Winter steht vor der Tür«, bemerkte Mrs. Royce. »Jetzt setze ich erst mal Kaffee auf. Wie möchten Sie Ihren?«
»Schwarz, bitte.«
»Regina, meine Assistentin, die jetzt Babypause macht, hat sich immer zwei gehäufte Teelöffel Zucker genehmigt und dabei kein Gramm zugenommen. Ich hab ihr
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