Sieh dich nicht um
mich. Gib's zu – du hast jemanden kennengelernt, der dir gefällt, und du siehst mein Gesicht vor dir, um seines zu verdecken. Nicht ich bin es, hinter dem du her bist, und nicht vor mir läufst du davon.
Svenson sagte die ganze Fahrt über kein Wort, so daß sie ihren Gedanken nachhängen konnte. Schließlich fragte Lacey, ob er etwas von Gary Baldwin gehört habe.
»Nein, Alice«, erwiderte er.
Es ärgerte Lacey, daß der einzige Mensch, bei dem sie sich
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nicht zu verstellen brauchte, sie nicht bei ihrem richtigen Namen nannte.
»Würden Sie dann freundlicherweise dem hohen Herrn ausrichten, daß ich wissen möchte, was los ist. Ich habe ihm am Dienstag abend wichtige Informationen gegeben. Er könnte mir ruhig den Gefallen tun und mich über die Vorgänge auf dem laufenden halten. Ich ertrage dieses Leben nämlich nicht mehr lange.«
Lacey biß sich auf die Lippen und lehnte sich zurück. Immer, wenn sie ihren Ärger an Svenson ausließ, war es ihr nachher peinlich. Sie führte sich auf wie ein Kind. Bestimmt wäre er auch lieber zu Hause bei seiner Frau und seinen drei halbwüchsigen Töchtern gewesen, statt Lacey durch die Gegend zu kutschieren, damit sie telephonieren konnte.
»Ich habe das Geld auf Ihr Konto überweisen lassen, Alice.
Sie können sich morgen früh bei dem neuen Fitneßclub anmelden.«
Das war Svensons Art anzudeuten, daß er sie verstand.
»Danke«, murmelte sie, aber sie hätte am liebsten geschrien: Bitte, nennen Sie mich doch nur einmal Lacey! Ich heiße Lacey Farrell!
Als sie vor ihrem Apartmenthaus angekommen waren, trat Lacey, immer noch unschlüssig, was sie tun sollte, in die Eingangshalle. Ratlos stand sie vor dem Aufzug, dann machte sie auf dem Absatz kehrt. Statt hinaufzufahren, verließ sie wieder das Haus, stieg aber diesmal in ihr eigenes Auto. Eine Zeitlang fuhr sie ziellos durch die Stadt, bog aber schließlich in Richtung Wayzata ab, wo die Party des Ensembles von The King and I stattgefunden hatte. Dort hielt sie Ausschau nach dem kleinen Restaurant, an dem sie an jenem Abend vorbeigekommen war. Daß sie es trotz ihres schlechten Orientierungssinns recht schnell fand, gab ihr wieder ein wenig Auftrieb. Vielleicht wird mir die Gegend doch allmählich
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vertraut, dachte sie. Wenn ich noch längere Zeit hier im Immobiliengeschäft arbeiten muß, kann das nicht schaden.
Das Restaurant, in dem sie einkehrte, hätte auch in die 4.
Straße West des New Yorker Greenwich Village gepaßt. Schon am Eingang stieg ihr der anheimelnde Duft von frischem Knoblauchbrot in die Nase. Es gab etwa zwanzig Tische, alle mit rotweiß karierten Tischdecken und Kerzen.
Lacey blickte sich um. Das Lokal war gut besucht. »Sieht aus, als wäre kein Platz mehr frei«, sagte sie zu der Dame am Empfang.
»Doch, um die Wahrheit zu sagen, hat gerade jemand eine Reservierung rückgängig gemacht.« Die Empfangsdame führte sie zu einem Ecktisch, den man von der Tür aus nicht hatte sehen können.
Während Lacey auf das Essen wartete, knabberte sie warmes, knuspriges Weißbrot und nippte an ihrem Rotwein. Die Menschen um sie herum aßen und plauderten vergnügt. Lacey saß als einzige allein an ihrem Tisch.
Was ist in diesem Lokal anders? fragte sie sich. Warum geht es mir hier besser?
Sie zuckte zusammen, als ihr klar wurde, was sie die ganze Zeit verdrängt oder nicht wahrgenommen hatte. Hier in diesem kleinen Restaurant, wo sie von ihrem Platz aus beobachten konnte, wer zur Tür hereinkam, ohne selbst gleich entdeckt zu werden, fühlte sie sich sicherer als die ganze letzte Woche.
Woran liegt das? fragte sie sich.
Weil ich Mom gesagt habe, wo ich bin, gestand sie sich beschämt ein.
Die Warnung, die man ihr bei ihrer Unterweisung im Schulungszentrum mit auf den Weg gegeben hatte, hallten in ihrem Kopf wider. Es geht nicht darum, daß Ihre Familie Sie absichtlich verraten würde, hatte man zu ihr gesagt. Ihre
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Sicherheit wird durch Bemerkungen gefährdet, die sie unwissentlich machen.
Sie erinnerte sich, wie ihr Vater immer gescherzt hatte, wenn Mom je ihre Memoiren schriebe, müßten sie den Titel tragen: Ganz im Vertrauen. Ihre Mutter konnte einfach kein Geheimnis für sich behalten.
Dann fiel ihr ein, wie schockiert ihre Mutter gewesen war, als Lacey sie bat, Jimmy Landi gegenüber ja nichts über ihren Aufenthaltsort zu verraten. Vielleicht wird doch noch alles gut, dachte Lacey und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, daß ihre Mutter die Warnung ernst nehmen
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