Sieh dich nicht um
fragte Mona, wartete aber die Antwort nicht ab. »Mr. Landi, meiner Tochter wurden strafrechtliche Folgen angedroht, weil sie Beweismaterial zurückgehalten hatte, um Isabelle Warings letzten Wunsch zu erfüllen.«
Lieber Himmel, dachte Kit. Mom explodiert gleich.
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»Das habe ich erst vor zwei Tagen erfahren«, entgegnete Landi schroff. »Ich bin schließlich auf die vernünftige Idee gekommen, einen Privatdetektiv zu engagieren, als ich merkte, daß mich die Polizei nur abwimmeln will. Er hat herausgefunden, daß sie mir ein Ammenmärchen aufgetischt haben. Die Geschichte von dem Einbrecher, der Isabelle nur getötet haben soll, weil sie ihm in die Quere kam, war dummes Geschwätz.«
Kit sah, daß Landis Gesicht dunkelrot anlief.
Offensichtlich war das auch Steve Abbott aufgefallen.
»Beruhige dich, Jimmy«, sagte er. »Du gibst einen miserablen Patienten ab, wenn du einen Schlaganfall bekommst.«
Jimmy warf ihm einen gequälten Blick zu und wandte sich dann wieder an Mona. »Genau das hat mir meine Tochter auch immer gesagt.« Er leerte seinen Espresso. »Ich weiß, daß Ihre Tochter im Zeugenschutzprogramm ist«, fuhr er fort. »Ziemlich schlimm für sie und für Sie alle.«
»Ja, das kann man sagen.« Mona nickte zustimmend.
»Wie halten Sie Kontakt zu ihr?«
»Sie ruft einmal die Woche an«, sagte Mona. »Im Grunde haben wir uns deshalb verspätet, weil ich mit ihr gesprochen habe, bis Jay und Kit mich abholten.«
»Sie können nicht bei ihr anrufen?« erkundigte sich Jimmy.
»Unter gar keinen Umständen. Ich wüßte nicht, wie ich sie erreichen sollte.«
»Ich möchte mit ihr sprechen«, sagte Jimmy unvermittelt.
»Sagen Sie ihr das. Der Detektiv, den ich engagiert habe, weiß, daß Ihre Tochter in den Tagen vor Isabelles Tod viel Zeit mit ihr verbracht hat. Ich möchte ihr gern einige Fragen stellen.«
»Mr. Landi, darüber kann nur die Bundesstaatsanwaltschaft entscheiden«, schaltete sich Jay ein. »Der Staatsanwalt hat mit uns gesprochen, bevor Lacey in das Programm aufgenommen
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wurde.«
»Damit wollen Sie wohl sagen, daß ich dort mit einer Absage rechnen kann«, brummte Jimmy. »In Ordnung. Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit. Sie können ihr die Frage für mich stellen. Fragen Sie sie, ob sie sich an einige unlinierte beschriebene Seiten am Ende von Heathers Tagebuch erinnert.«
»Warum ist das so wichtig, Jimmy?« fragte Alex Carbine.
»Wenn diese Seiten existiert haben, dann folgt daraus, daß keinerlei Beweismaterial, das diesem Polizeirevier übergeben wird, dort sicher aufgehoben ist. Es wird entweder getürkt oder geklaut. Und ich werde Mittel und Wege finden, das zu verhindern.«
Jimmy winkte ab, als Carlos, der hinter ihm stand, Kaffee nachschenken wollte. Dann erhob er sich und streckte Mona die Hand entgegen. »Nun, soviel dazu – es tut mir leid für Sie, Miss Farrell. Und auch für Ihre Tochter. Soviel ich gehört habe, war sie sehr nett zu Isabelle, und auch mir hat sie zu helfen versucht.
Ich möchte mich bei ihr entschuldigen. Wie geht es ihr?«
»Lacey ist sehr tapfer«, erwiderte Mona. »Sie beklagt sich nie. Im Gegenteil, sie versucht, mich aufzumuntern.« Zu Kit und Jay sagte sie: »Ich habe vergessen, euch im Auto zu erzählen, daß Lacey Mitglied in einem brandneuen Fitneßstudio geworden ist. Angeblich haben sie einen fabelhaften Squash-Court.« Sie wandte sich wieder an Landi. »Sie war immer ganz verrückt auf Sport.«
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43
Nach dem Telephongespräch mit ihrer Mutter traf Lacey George Svenson in der Lobby des Motels und ging wortlos mit ihm zum Auto.
Sie überlegte kurz, wie sie den Rest des Abends gestalten sollte – die ganze Zeit in der leeren Wohnung hielt sie es einfach nicht aus. Aber was sollte sie unternehmen? Sie war nicht besonders hungrig, und außerdem hatte sie keine Lust, allein essen zu gehen. Nach der Erfahr ung im Kino am Donnerstag abend war ihr auch der Gedanke daran, in einem dunklen Zuschauerraum zu sitzen, unerträglich.
Im Grunde hätte sie gerne die letzte Vorstellung von The King and I gesehen, wenn es noch Karten gab, aber sie fürchtete, daß die Ouvertüre sie völlig außer Fassung bringen würde. Sie erinnerte sich, wie sie früher immer ihren Blick durch den Orchestergraben schweifen ließ und ihren Vater suchte.
Dad, du fehlst mir, dachte sie, als sie in Svensons Wagen stieg.
Aber eine innere Stimme antwortete ihr.
Sei ehrlich, Lacey, mein Mädchen, gerade jetzt trauerst du nicht um
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