Sieh dich nicht um
pochenden rechten Knöchel zu schonen. Als sie eben abschließen wollte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
Sie durchlebte dasselbe Gefühl wie in ihrem Alptraum, alles lief in Zeitlupe ab, sie versuchte zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Als sie einen Satz nach vorn machte, um zu entkommen, schoß ein brennender Schmerz durch ihren Knöchel, so daß sie nach Luft schnappte und ins Stolpern geriet.
Ein Arm fing sie auf, stützte sie, und eine vertraute Stimmte sagte zerknirscht: »Alice, es tut mir leid! Ich wollte Sie nicht erschrecken. Verzeihen Sie mir.«
Es war Tom Lynch.
Zutiefst erleichtert sank Lacey an seine Brust. »Oh, Tom…
ach Gott… ich… schon gut. Ich bin nur… Sie haben mir einen schönen Schrecken eingejagt.«
Sie fing an zu weinen. Es war so schön, sicher und geborgen in seinen Armen zu ruhen. Eine Weile stand sie reglos da und gab sich dem Gefühl grenzenloser Erleichterung hin. Dann richtete sie sich auf und sah ihn an. Sie konnte das weder ihm noch sich selbst antun. »Tut mir leid, daß Sie sich die Mühe
-230-
gemacht haben zu kommen, Tom. Ich gehe nach oben«, sagte sie, versuchte ruhig durchzuatmen und wischte sich die Tränen ab.
»Ich komme mit. Wir müssen miteinander reden.«
»Wir haben nichts zu bereden.«
»O doch«, erwiderte er. »Angefangen damit, daß Ihr Vater ganz Minneapolis nach Ihnen absucht, weil Ihre Mutter im Sterben liegt und sich mit Ihnen versöhnen möchte.«
»Wovon… reden… Sie?« Laceys Lippen fühlte sich taub an, und die Kehle schnürte sich ihr zusammen, so daß sie kaum ein Wort herausbrachte.
»Ich rede davon, daß Ruth Wilcox mir gestern abend erzählt hat, irgendein Kerl hätte Ihr Photo im Fitneßstudio herumgezeigt und behauptet, er sei Ihr Vater und suche Sie.«
Er ist in Minneapolis! dachte Lacey. Er wird mich finden!
»Alice, schauen Sie mich an! Ist das wahr? Ist es tatsächlich Ihr Vater, der Sie sucht?«
Sie schüttelte den Kopf. Inzwischen wünschte sie verzweifelt, er würde sie in Ruhe lassen. »Tom, bitte. Gehen Sie jetzt.«
»Ich werde nicht gehen.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und zwang sie, ihn anzusehen.
Wieder hallte Jack Farrells Stimme in Laceys Kopf wieder: Du siehst mein Gesicht vor dir, um seines zu verdecken, sagte er.
Gib's zu.
Ich geb's zu, dachte sie. Sie sah ihn an, sah sein energisches Kinn, seine vor Sorge gerunzelte Stirn, den Ausdruck seiner Augen.
Ein Blick, den man einem ganz besonderen Menschen schenkt. Ich werde nicht zulassen, daß dir etwas geschieht, schwor sie sich.
Wenn Isabelle Warings Mörder es geschafft hätte, Ruth Wilcox im Twin Cities Gym meine Adresse zu entlocken, wäre
-231-
ich jetzt nicht mehr am Leben, dachte sie. So weit, so gut. Aber wo mag er mein Bild noch herumgezeigt haben?
»Alice, ich weiß, daß Sie in Schwierigkeiten stecken, und ganz gleich, worum es geht, ich stehe Ihnen bei. Aber Sie dürfen mich nicht länger im unklaren lassen«, drängte Tom. »Können Sie das denn nicht verstehen?«
Sie blickte zu ihm auf. Es war ein merkwürdiges Gefühl, diesen Mann vor sich zu sehen, der offenbar viel für sie empfand – Liebe? Vielleicht. Und er war genau der Mann, dem zu begegnen sie sich erträumt hatte. Aber nicht jetzt!
Nicht hier! Nicht in dieser Situation! Ich kann ihm das nicht antun, dachte sie.
Ein Auto bog in den Parkplatz ein. Lacey hätte Tom beinahe instinktiv hinter ihren Wagen in Deckung gezogen. Ich muß weg, dachte sie. Und ich muß Tom von mir fernhalten.
Als das Auto näher kam, sah sie, daß eine Frau am Steuer saß, die ebenfalls in dem Apartmenthaus wohnte.
Aber wer würde in dem nächsten Auto sitzen, das auf den Parkplatz fuhr? fragte sie sich ärgerlich. Es könnte der Mörder sein.
Die ersten Schneeflocken schwebten vom Himmel.
»Bitte, gehen Sie jetzt, Tom«, bat sie. »Ich muß zu Hause anrufen und mit meiner Mutter reden.«
»Dann ist diese Geschichte also wahr?«
Sie nickte, vermied es aber, ihn anzusehen. »Ich muß mit ihr reden und einiges klären. Kann ich Sie später anrufen?« Endlich blickte sie auf.
Seine besorgten Augen ruhten fragend auf ihrem Gesicht.
»Alice, rufen Sie mich bestimmt an?«
»Ich schwöre es.«
»Wenn ich Ihnen helfen kann, wissen Sie -«
-232-
»Nicht jetzt, das geht nicht«, fiel sie ihm ins Wort.
»Können Sie mir in einem Punkt die Wahrheit sagen?«
»Natürlich.«
»Gibt es einen anderen Mann in Ihrem Leben?«
Sie sah ihm in die Augen. »Nein.«
Er nickte. »Das
Weitere Kostenlose Bücher