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Sieh mich an, Al Sony

Sieh mich an, Al Sony

Titel: Sieh mich an, Al Sony Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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großen Pistolen und häßlichem Charakter. Pal schätzte, daß allein in den letzten paar Monaten Drams im Wert von fünf Millionen Dollar aus Silicon Valley geklaut worden waren. Aber nicht nur Straßengangster waren hier am Werk. Nicht wenige Chiphersteller logen, was ihre Produktionszahlen anging, um Kasse zu machen; sie erzählten ihren Kunden, die Produktionsausbeute betrage nur fünfzig Prozent, während sie in Wirklichkeit fünfundsiebzig Prozent ausmachte, und so konnten fünfundzwanzig Prozent geradewegs zur Hintertür hinaus auf den lukrativen Spotmarkt wandern. Wenn die Chips auf dem grauen Markt angekommen waren, verloren sie ihren Herkunftsnachweis, weil die Zwischenhändler darüber hinwegsahen und die Kunden sich nicht dafür interessierten.
    »Glauben Sie, daß ein High-Tech-Embargo im Laufe der Jahre hat verhindern können, daß Moskau die Chips bekam, die es haben wollte? Nehmen Sie mich — ich habe eine Filiale in den USA. Kein Mensch hat mich je gefragt, wer meine Eltern waren. Dollars. Das war das Problem. Das Bezahlen in Dollars. Das hat uns ausgeblutet.«
    »Mit anderen Worten, Al Sony könnte sie überallher bekommen haben. Sie könnten gestohlen sein.«
    »Natürlich.«
    »Und er hat sie jetzt?«
    »Bestimmt.«
    »Und wieso treibt er sich dann noch hier rum?«
    »Kao. Sie wissen, was das heißt.«
    Ich nickte. Kao bedeutet »Gesicht«, ein japanischer Begriff, der soviel Ehrfurcht verbreitete, daß ein gewitzter Geschäftsmann eine Seife danach benannt hatte. Die Leute in Japan brachten es nicht über sich, etwas daran zu kritisieren. Sie lobten die Seife oder sagten gar nichts, selbst wenn ihre Haut sich nach dem Gebrauch anfühlte wie Bimsstein. Wir pflegten so etwas verdammt törichten Stolz zu nennen und zu glauben, daß wir es verstanden hätten. Aber Stolz ist etwas, das wir in der westlichen Welt zurechtbiegen oder verwerfen, wie es uns gerade paßt. Japanisches Kao ist etwas Absolutes. Es ist das Abzeichen der Achtbarkeit, an dem das Selbstvertrauen des Japaners hängt, und es zeigt, wie harmonisch sein Verhältnis zur Gesellschaft ist. Durch mein Zusammensein mit Shinichro hatte ich ein paar Regeln über Kao gelernt, aber nicht annähernd genug, wie es schien. Es kam mir so vor, als sei Poker nicht die Sorte Spiel, die ein Japaner riskieren würde.
    »Wie konnte er denn Karten spielen? Er mußte doch ständig riskieren, das Gesicht zu verlieren«, sagte ich.
    »Man verliert sein Gesicht nicht, wenn man beim Kartenspielen verliert. Das ist okay. Vielleicht, wenn er nicht bezahlen könnte — das wäre ein Gesichtsverlust.«
    »Aber er konnte.«
    »Was?«
    »Bezahlen.«
    »Eben. Deswegen vermute ich, daß er nicht Charlie, sondern jemand anderem gegenüber das Gesicht verloren hat.«
    »Gegenüber dem, dem er die Chips dann nicht liefern konnte?«
    »Möglich.«
    »Wer käme in Frage?«
    »Der, der ihm die Chips gegeben hat.«
    »Haben Sie nicht gesagt, sie könnten gestohlen sein?«
    »Nicht unbedingt von ihm selbst.«
    Darüber mußte ich nachdenken, aber der Anblick meines leeren Tellers lenkte mich ab. Ich wollte Makronen, mit Bergen von Erdbeeren und Sahne. Ich lechzte danach, aber Pal war mit seinen Spaghetti Carbonara noch nicht fertig. Er spielte damit herum, statt sie sich mit beiden Händen in den Mund zu schaufeln wie ich meine Fettuccine mit Thunfisch und Unmengen von Sahnesauce. Ich strich mit den Fingern über die Tischkante und lehnte mich zurück. Es war unmöglich. Ich fühlte mich gleichzeitig aufgebläht und ausgehungert. Die Eikugel in mir hatte wahrscheinlich inzwischen einen Mund und einen Daumen zum Dranlutschen, und ihre Zellen vervielfältigten sich und meldeten sich nach der Empfängnis nun selbst zum Empfang. Sie drehte an der biologischen Schraube, wie das Programm es verlangte, und schlug tiefe Wurzeln, so tief, daß sie eine echte Chance hatte. Ich empfand seltsamen Stolz auf ihre Leistung.
    »Alles okay mit Ihnen?« fragte Pal.
    »Ja, wieso?«
    »Sie sehen aus, als ob Sie jemanden suchen oder von jemandem träumen.«
    »Ja, vom Dessertwagen. Entschuldigung. Wovon sprachen wir gerade?«
    »Von Al Sonys Gesicht.«
    Das brachte mich zum Lächeln, und so war es auch gedacht gewesen. Pal war nicht so übel, er war kein Schurke, aber ich traute ihm immer noch nicht. Sein Blick wanderte immer wieder zu meinen Brüsten. Sie hatten in der Vergangenheit nie viel Aufmerksamkeit erregt, aber jetzt waren sie mir bewußt, geschwollen und empfindlich unter meinem

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