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Sieh mich an, Al Sony

Sieh mich an, Al Sony

Titel: Sieh mich an, Al Sony Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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kräftigen goldenen Strahl in die Gläser gluckern ließ, die er vor uns hingestellt hatte, und wie er dann einen Wasserkrug füllte und Eiswürfel aus der Schale brach.
    »Verstehst du, was On bedeutet, Georgina?« fragte er.
    Dieses Wort hörte ich andauernd.
    »Du hast es mir schon mal erzählt. Eine Verpflichtung, eine Schuld, eine Ehrenschuld. Wie Giri «, sagte ich.
    »Es ist eine Schuld, ja, aber nicht wie Gin. Giri ist >Pflicht<. Ich habe Giri gegen meinen Namen, Giri gegen die Welt; es ist eine allgemeine Verpflichtung. Wenn mir jemand im Geschäftsleben einen Gefallen tut, bedeutet es für mich Giri. Ich werde diesem Mann immer verpflichtet sein, aber mit dieser Schuld kann ich leben, weil ich weiß, daß ich den Gefallen eines Tages zurückgeben kann. On ist viel, viel mehr. Es ist eine Treueverpflichtung gegen jemanden, eine Verpflichtung, die sich vielleicht mildern, aber niemals abstatten läßt, niemals, nicht einmal zu einem Zehntel. Im Westen hört man den Satz: >Ich bin niemandem etwas schuldig, keinem Menschen.< Kein Japaner kann so etwas sagen. In Japan schulden wir jedem etwas — unseren Vorfahren, unseren Zeitgenossen... unserer Gesellschaft.«
    »Du sollst Vater und Mutter ehren.«
    »Ja.«
    »Das ist eine von unseren.«
    »Interessant.«
    »Sie ist im Laufe der Jahre nur ein bißchen aufgeweicht worden.«
    »Verstehe. Schade.«
    »Vielleicht.«
    Er grunzte und sagte dann: »Du begreifst also, daß On eine große Schuld bei jemandem ist, der dir einen großen Gefallen erwiesen hat.«
    »Was für einen zum Beispiel?«
    »Beispielsweise, daß er dir das Leben geschenkt hat. Dich erzogen hat. Dich zu deinem Beruf angeleitet hat.«
    »Also die Eltern?«
    »Ja, aber vielleicht auch dein Lehrer. Oder dein Bucho.«
    »Dein Vorgesetzter.«
    Shinichro grunzte wieder und nickte diesmal.
    »Mein Vorgesetzter in Japan. Ich habe ein On gegen ihn. Er ist mein Ow-Mann, verstehst du?«
    »Damit bist du sein Mann.«
    Darauf antwortete Shinichro nicht. Er nahm statt dessen einen ordentlichen Schluck von seinem Scotch. Ich nahm auch einen und schenkte uns dann nach, bevor ich sagte: »Und was mußt du tun?«
    »Ich muß die Drams ersetzen, die Sano verspielt hat.«
    »Indem du sie deiner Firma stiehlst? Schuldest du deiner Firma nicht auch eine gewisse Loyalität?«
    »Ich bin befugt, über die Quote hinaus zu verkaufen.«
    Ich lächelte und erinnerte mich daran, wie es ihn gestört hatte, als ich genau diesen Punkt zur Sprache gebracht hatte.
    »Gut, du hast diesem Mann gegenüber also Giri, du mußt On abstatten — aber was ist mit Recht und Unrecht?«
    Keine Antwort.
    »Was ist mit Recht und Unrecht, Shinichro?«
    Er stellte sein Glas hin und berührte die blutige, weiße Mullkompresse, die ich ihm mit unregelmäßigen Pflasterstreifen ins Gesicht geklebt hatte.
    »Ich will dir eine Geschichte erzählen, Georgina. Eine berühmte Geschichte aus dem achtzehnten Jahrhundert, sehr populär in Japan, wie bei euch die Geschichten von Robin Hood. Es ist die Geschichte von den siebenundvierzig Ronin. Ein Ronin ist ein Samurai, der seinen Herrn verloren hat, und diese siebenundvierzig waren die Armee des Daimyo von Ako, des Fürsten Asano Maganori. Drei Daimyo, unter ihnen auch Fürst Asano, wurden vom Shogun beauftragt, einen Gesandten des Kaisers aus Kyoto am Hofe des Shogun in Edo zu empfangen. Alle drei wurden zu einem anderen Daimyo geschickt, zum Fürsten Kira, einem Experten für höfische Etikette, bei dem sie das korrekte Verhalten bei einem solchen Anlaß erlernen sollten. Alle außer Fürst Asano überhäuften den Fürsten Kira mit Geschenken. Fürst Asano hatte es nicht für nötig gehalten, aber Fürst Kira verspottete ihn deshalb so sehr, daß Fürst Asano schließlich auf ihn einstach. Fürst Kira wurde nicht besonders schwer verletzt, aber der Shogun befahl dem Fürsten Asano trotzdem, Seppuko zu begehen, und dieser gehorchte selbstverständlich. Die siebenundvierzig Ronin erhielten von ihrem Führer Yoshio Oishi den Rat, zunächst gar nichts zu tun. So hielten sie es auch ein Jahr lang; sie tranken und vergnügten sich, verachtet von allen für ihre Treulosigkeit, selbst von ihren Familien. Aber als die Zeit reif war, formierten sich die Ronin wieder, und sie griffen Fürst Kiras Burg an, töteten den Daimyo und legten seinen Kopf auf Fürst Asanos Grab. Obwohl der Shogun bewunderte, was sie getan hatten, befahl er ihnen Seppuko, und sie gehorchten.«
    »Anders als Robin Hoods

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