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Sieh mich an, Al Sony

Sieh mich an, Al Sony

Titel: Sieh mich an, Al Sony Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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auf ihn warten.
    Esther hatte ihr Bestes getan, um die Wohnung in Ordnung zu halten. Vor und nach dem Dienst kam sie vorbei, um nachzusehen, ob ich noch atmete, um mir warmes Essen zu bringen und zu sehen, ob ich sie anlächeln konnte, aber wenn nicht, war es auch in Ordnung, meinte sie, denn Trauern sei besser als Lachen, und von der Trauer des Antlitzes werde dem Herzen wohler. Sie ließ mir eine dicke Lederbibel auf dem Tisch liegen, damit ich selbst darin lesen könnte, aber ich rührte sie nicht an, konnte keine einzige der schleierdünnen Seiten umblättern, weil ich fürchtete, auf eine Stelle über die Ruchlosigkeit der Weiber zu stoßen. Ich zog mich für Shinichro an, eine volle Stunde, bevor er kam, und dann saß ich auf dem Sofa und sah mir die Neunuhrnachrichten an, wo das alte Ananasgesicht Noriega, wegen Drogenhandels angeklagt, sich vor seinen alten Kumpanen, den mächtigen USA, aufplusterte. Irgendein Kerl vom National Institute on Drug Abuse behauptete, schon eine Million US-Bürger hätten Crack probiert, und vierundzwanzig Millionen hätten mindestens einmal Kokain genommen. Und wer konnte es ihnen verdenken? Klopf, klopf, wer da?
    Er war schick und ansehnlich wie immer; sein Gesicht war glatt, sein Haar frisch gewaschen und glänzend schwarz. Er sah sich im Zimmer um, bemerkte die ungewohnte Ordentlichkeit der Kissen und die Vase mit Sommerblumen, die Esther aufgestellt hatte, um das Zimmer aufzuhellen.
    »Kann ich dir etwas bringen? Tee, Kaffee, Weißwein, Rotwein, Bier, Scotch, Gin? Leider nichts aus Kräutern.«
    »Gar nichts, danke.«
    »Setz dich, wenn du genug Zeit hast. Du siehst aus, als hättest du es eilig.«
    Er setzte sich nicht, aber ich tat es; ich zog die Füße hoch und legte einen Arm vor die Brust, um den anderen Arm zu stützen, mit dem ich ein volles Glas Weißwein eine Handbreit vor dem Gesicht hielt.
    »Ich wäre geehrt, wenn du dies annehmen würdest«, sagte er. Es war ein weißer, verschlossener Umschlag, und ich konnte mir denken, was er enthielt. Ich wurde rot im Gesicht, und mein Herz schlug schneller.
    »Es ist ein Geschenk.«
    »Wofür?«
    »Für die Abtreibung.«
    Ich antwortete nicht sofort. Ich griff nach der Fernbedienung und schaltete die Flimmerkiste ab, so daß es still war bis auf die Musik, die von irgendwoher rhythmisch durch die Wände hämmerte.
    »Ihr habt in Japan also keine Probleme mit Abtreibung?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Ach, natürlich, das hab’ ich vergessen. Bei dir zu Hause ist die Pille nicht erlaubt, nicht? Abtreibung ist Empfängnisverhütung. «
    »Abtreibung ist akzeptabel.«
    »Du hast also persönlich keine Probleme damit?«
    »Wenn du den Wunsch hast, das Kind zu behalten, dann verzeih mir bitte meine Anmaßung. Ich wäre erfreut...«
    »Du hast also keine Meinung zu dieser Sache, ja?«
    Er gab keine Antwort. Ich stand auf, stellte mein Weinglas vorsichtig vor mir auf den niedrigen Tisch, und dann nahm ich ihm den Umschlag aus der Hand. Er war lang, weiß und schwer. Er wog wahrscheinlich genausoviel wie der kleine rosarote Embryostummel, der mir so viel Schmerzen bereitet hatte. Ich schüttelte das dicke Papier in meiner Hand nach vorn, hielt es bei einer dicken, abgerundeten Ecke, holte aus und ließ es nach vorn sausen, und ich schlug ihm damit ins Gesicht wie mit einem Knüppel. Ich schlug ihn heftig, bedächtig und kraftvoll, einmal, zweimal, dreimal, viermal, und dann riß ich den Ledergürtel an seiner Hose nach vorn und steckte ihm den Umschlag in den Hosenbund. Ich schaute ihm ins Gesicht und kam zu dem Schluß, daß ich ihn belügen mußte, ihn und alle anderen, um meines Kindes willen.
    »Zu spät den Helden gespielt, mein Lieber. Das Baby ist ausgestiegen. Hat dein Freund Hiroshi Sano es dir nicht erzählt, als er dich angerufen hat?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Lüg nicht! Hiroshi Sano war der Mann in deiner Wohnung. Ich habe ihn am Freitag abend bei einer Pokerrunde gesehen. Wir haben versucht, zu dir zu kommen, als in seinem Hotel etwas nicht stimmte; er wollte nicht aus dem Taxi aussteigen, weil er so eine Scheißangst hatte. Am Ende mußten wir meilenweit laufen, immer durch den Regen. Er hat mich geschlagen, in den Bauch. Ich habe eine Menge Blut verloren. Und ich habe das Baby verloren.«
    Shinichro blinzelte ein paarmal und stand absolut regungslos da wie einer, der einen Fernsehschirm im Schaufenster anstarrt und die Handlung sieht, aber die Worte nicht hören kann.
    »Aber es war nicht nur schlecht. Er konnte

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