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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Blut bereits ziemlich in Wallung geraten war, versuchte ich zu antworten und verkündete aufrichtig, dass ich lieber den Krankenwagen rufen würde, anstatt die Sache noch zu verschlimmern. Unzufrieden begann der Prüfer eher unsere Fahrlehrer als seine Prüflinge in die Zange zu nehmen.
    »Das haben Sie doch bestimmt in der Fahrschule durchgenommen, istruttore? «
    »Aber natürlich«, flunkerte Giovanni. »Sie wissen, was sie tun müssen, sie haben nur Schwierigkeiten, es in einer Fremdsprache auszudrücken.«
    Einmal ganz davon abgesehen, dass ich überhaupt keinen Fahrunterricht bei ihm genommen hatte, was mir der Prüfer anscheinend nachweisen wollte, hatte ich schon allein deshalb nicht geantwortet, weil ich keine Ahnung habe, wie man eine Hämorrhagie auf Englisch stillt, geschweige denn auf Italienisch. Ich musste das Wort sogar im Wörterbuch nachschlagen, um es hier hinschreiben zu können, und wer Hämorrhagie nicht mal richtig buchstabieren kann, kann sie bestimmt auch nicht stoppen.
    Während unser theoretisches Opfer verblutete, erklärte der Prüfer unsere Prüfung für beendet, und wir durften den Raum verlassen. Nachdem ich die ganze Farce über Haltung bewahrt hatte, verlor ich sie, kaum dass ich draußen war. Zu Daniela sagte ich, ich sei sicher durchgefallen, da der Prüfer zu glauben schien, ich wollte mit einem Tanklastzug statt mit einem ganz normalen Auto durch Andrano kurven. Sie war schockiert und ging auf Giovanni zu, der ein paar Minuten später mit meiner Akte unter dem Arm und einem Lächeln auf dem Gesicht herauskam.
    »Hat er bestanden, Giovanni?«
    »Aber was für eine Frage, Daniela! Natürlich hat er bestanden.«
    » Non è possibile «, sagte ich.
    »È possibile« , beharrte mein Lehrer.
    »Und was ist mit dem Franzosen?«
    »Er hat auch bestanden. Andiamo al bar .«
    Erst als mir Giovanni meine Akte mit dem Vermerk promosso zeigte, glaubte ich ihm, und da saßen wir schon in einer Bar in Castellano, um uns bei viel Koffein über einen Vormittag auf einer Behörde auszutauschen. Trotzdem hatte mich die Erfahrung wütend und verwirrt zurückgelassen, und zwar mehr als jede andere seit meinem Umzug nach Italien. Ich hatte aufgrund eigener Verdienste bestehen wollen, und nicht weil die Frau von Signor Pozzo mit Danielas Mutter zur Schule gegangen war. Es kam mir fast so vor, als hätte mir der Prüfer extra obskure Fragen gestellt, nur damit ich den Führerschein seiner Großzügigkeit und nicht meinen Fähigkeiten zu verdanken hätte und er in Danielas Augen noch besonderer würde.
    Obwohl ich Giovanni dankbar war, hatte ich doch das Bedürfnis, seine Rolle bei der morgendlichen Scharade zu hinterfragen. Genau wie Pozzo bombardierte ich ihn mit Fragen, die ihr Adressat jedoch völlig irrelevant fand.
    »Hätte ich die Prüfung auch bestanden, wenn Sie nicht so nett zu dem Prüfer gewesen wären? Sie haben mir sogar Antworten vorgesagt. Was wäre passiert, wenn er es gemerkt hätte? Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er es gemerkt hat.«
    »Er ist ein Freund«, verteidigte ihn Giovanni. »Und es ist eine öffentliche Prüfung.«
    »Aber das bedeutet höchstens, dass man dabei zuschauen, aber nicht, dass man daran teilnehmen darf.«
    »Sie haben doch bestanden, oder etwa nicht?«, rief er und überraschte Daniela, deren Augen sich im Rückspiegel weiteten. »Was wollen Sie überhaupt?«
    Ja, was wollte ich? Es war sinnlos, den Mann für das Schlamassel verantwortlich zu machen, durch das er mir geholfen hatte. Am Wochenende vor meiner Prüfung waren fünfundfünfzig Menschen auf italienischen Straßen gestorben – eine Katastrophe und eine Schande. Aber was konnte Giovanni dafür? Ich wechselte das Thema und fuhr los. Ich hatte, was ich brauchte, und das war alles, worauf es ankam. Die »Ihr könnt mich mal«-Haltung fängt häufig so an, aus purer Hoffnungslosigkeit und nicht aus Eigennutz. Meine Mitfahrer hatten die Prüfung bereits vergessen. Giovanni erzählte von seinem Urlaub, zu Hause in Kalabrien, und wir kamen auf wichtigere Dinge zu sprechen, zum Beispiel darauf, Italien zu genießen, statt es erziehen zu wollen.
     
    »Wenn irgendjemand bei der Zulassungsbehörde fragt, warum wir es so eilig hatten, die Prüfung zu beantragen, sagst du, dass du den Führerschein für deine Arbeit brauchst«, rief mir Rocco, Giovannis Kollege und mein Fahrlehrer, zu. Als ich bei einer von zwei Probefahrten, mit denen ich mich auf die praktische Prüfung vorbereiten wollte, in seinem

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