Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Fiat-Fahrschulauto saß, war ich in die letzte Phase dieser nun schon drei Monate währenden Prozedur eingetreten. Giovannis Job – die Theorie – war erledigt. Jetzt waren Rocco und die Praxis dran.
Der gedrungene Mittvierziger war nicht dick, aber pummelig. Seine Haut besaß jene schokobraune Farbe, die ich mir den ganzen Sommer über hatte aneignen wollen, die er aber als Süditaliener gratis mitbekommen hatte. Er sprach so schnell wie Giovanni und fuhr sogar noch schneller, doch jetzt war ich an der Reihe, mich hinters Steuer zu setzen. Bevor ich den Motor anließ, fragte ich Rocco, ob er vorhabe, seinen Gurt anzulegen. Diese Bitte schien ihm völlig fremd zu sein, auf jeden Fall sah er mich höchst verwirrt an.
» Scusi «, erklärte ich. »Ich frage ja nur, denn wenn man das in Australien unterlässt, kann man bestraft werden, weil man sich nicht um die Sicherheit seiner Fahrgäste kümmert.«
»Als Fahrlehrer«, erwiderte er, »brauche ich mich laut Gesetz nicht anzuschnallen, falls ich mich hinüberbeugen und Ihnen ins Lenkrad greifen muss.«
»Oh. Passiert das oft?«
»Oft genug.«
Während ich seine Anordnungen befolgte – die Nächste links, die Nächste rechts -, fuhr ich durch die staubigen Gassen von Spongano, einem Ort unweit von Andrano, in dem Rocco wohnte. Es war Mittagszeit, mitten im Frühling, und die Sonne stand hoch am Himmel und brannte erbarmungslos auf uns herab. Wie jedes weiße Dorf im Salento war auch Spongano ein Geisterdorf, das Siesta hielt. Bis auf ein Kind, das Fußball spielte, und ein paar streunende Katzen lag der Ort vollkommen verlassen da. Wir konnten nicht mal ein Auto finden, hinter dem wir das Rückwärtseinparken hätten üben können.
»Sie fahren viel zu schnell«, verkündete Rocco.
»Ich bin nie schneller als sechzig gefahren.«
»Für die Prüfung ist das zu schnell. Sie müssen kriechen.«
Ich schaltete in den dritten Gang, und Rocco entspannte sich in seinem Schalensitz.
»Ich weiß, dass Sie schon lange Auto fahren, aber bei der Prüfung darf man nicht normal fahren. Das ist zu schnell. Sie müssen versuchen, zu Ihren Anfängen zurückzukehren.«
Wenn man schon seit zwölf Jahren Auto fährt, ist das leichter gesagt als getan. Denn wenn man die Angewohnheit hat, mit nur einer Hand am Steuer rückwärts einzuparken, fällt es einem plötzlich sehr schwer, beide Hände zu benutzen. Meine Arme kamen sich in die Quere, und zum ersten Mal seit Jahren streifte ich den Bordstein, was nicht ganz unproblematisch war, da der Bordstein in Spongano identisch mit einer Hauswand ist. Ich musste auch jene schlechten Angewohnheiten ablegen, die man sich mit der Zeit zulegt, wie den unregelmäßigen Gebrauch des Blinkers, das Vertrauen in Seitenspiegel oder das Lenken mit einer Hand, während sich die andere am Fensterrahmen abstützt. Das war beinahe so schwer, wie das Fahren neu zu lernen. Wie sagte Rocco so schön? Ich riskierte es durchzufallen, weil ich zu gut Auto fuhr.
Ein paar Tage später unternahmen wir eine weitere Probefahrt, bei der ich kein einziges Mal in den vierten Gang schaltete, einem Straßenköter anzeigte, dass ich abbiegen wollte, und an einer orangefarbenen Ampel hielt, statt zu beschleunigen – ich war soweit, die Prüfung ablegen zu können. Am nächsten Morgen holte mich Rocco in aller Frühe ab und fuhr mich nach Lecce. Der Mann, der mir Langsamkeit gepredigt hatte, raste wie ein Wahnsinniger. Als er einen Audi überholte, während er mit einem entgegenkommenden Laster »Hasch mich« spielte, war ich versucht, auf die zweite Bremse vor meinen Füßen zu treten.
Nachdem wir die Zulassungsstelle erreicht hatten, ging ich hinter ihm um das Gebäude herum und suchte nach einem unbesetzten Büro. Ich selbst war es gewohnt, auf einer italienischen Behörde unsichtbar zu sein, aber diesmal fehlten die Beamten. Als wir endlich jemanden entdeckten, sagte man uns, dass der heutige Prüfer – Gott sei Dank nicht Signor Pozzo, der mir sicherlich befohlen hätte, einen Fußgänger zu überfahren, um zu sehen, wie ich mit der Hämorrhagie zurechtkam – gerade nicht da sei, da er eine Prüfung abnahm. Wieder auf dem Parkplatz, warteten wir mit sieben anderen Fahrlehrern und ihren nervösen Zöglingen darauf, dass es endlich losging. Eine sengende Aprilsonne veranlasste uns zu einer Art Striptease. Jacken wichen Pullis und Pullis kurzärmeligen Hemden. » Vestirsi a cipolla «, nennt das Daniela, wenn man sich im Zwiebellook kleidet.
Ein Fiat Punto,
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