Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
Vom Netzwerk:
Freuden im Leben hatte – außer sich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen -, um das Spektakel bringen, wie ihre Nichte den Bund fürs Leben einging? Daniela hatte Recht: Manche Traditionen kann man vernachlässigen, andere nicht. Also gab ich mich geschlagen. Besser gesagt, ich ging einen Kompromiss ein. Keine Hochzeit auf einer tropischen Insel, aber auch kein Jahr warten auf eine italienische. Uns blieb nur noch eine Möglichkeit: an einem venerdì heiraten, an einem fürchterlichen Freitag, einem Tag, an dem sich prima Hochzeiten ausrichten ließen.
    Wir bekamen problemlos einen Termin und wollten am letzten Freitag im Juni heiraten, was bedeutete, dass uns nur noch wenige Monate für die Vorbereitungen blieben. Die Jahreszeit war perfekt – die Schulferien begannen, und drei Monate Flitterwochen lagen vor uns. Das Wetter dürfte auch ideal sein – weder zu heiß noch zu schwül. Wir waren entzückt. Wir hatten an alles und alle gedacht. Und prompt den ersten von vielen weiteren Skandalen verursacht.
    » Venerdì? «, schrie Valeria, als wir ihr die Nachricht mitteilten. »Ihr könnt unmöglich an einem venerdì heiraten!« Nicht nur Danielas Mutter war schockiert. Als unsere Hochzeit am Rathaus angeschlagen wurde, konnten es die meisten nicht lassen, einen Kommentar abzugeben. Als ob sie das auch nur das Geringste anginge, taten sie ihre Meinung kund, auf der Piazza ebenso wie im Supermarkt. Für viele bestätigte das nur, dass ich immer ein Außenseiter bleiben würde und dass meine Beziehung zu Daniela wegen unserer Unterschiede zum Scheitern verurteilt war. » Moglie e buoi dei paesi tuoi « heißt ein anderes italienisches Sprichwort. »Ehefrau und Kühe sollen aus der Heimat stammen.« Natürlich gab man mir die Schuld für diese Entscheidung. Daniela hätte sich niemals einen Freitag ausgesucht, wenn sie den Nachbarjungen heiraten würde.
    Meine Eltern dagegen waren hocherfreut über die Nachricht. Ihnen war es egal, an welchem Tag wir heirateten, vorausgesetzt, wir ließen ihnen genügend Zeit, herzufliegen und dabei zu sein. Schließlich konnten sie es kaum erwarten zu sehen, wo ich mich die letzten beiden Jahre herumgetrieben hatte. Als erfahrene Reisende steckten sie ihre Nasen sofort in Sprach- und Reiseführer und versuchten – wie immer – mehr als nur einen oberflächlichen Blick auf Italien zu werfen. Sie waren fünfundsechzig Jahre alt, verhielten sich aber wie Vierzigjährige, wofür ich sie stets bewunderte.
    Trotz der anfänglichen Aufregung über den von uns bestimmten Hochzeitstag war Danielas Mutter ebenfalls begeistert und bot uns an, eine Wohnung auf ihrem Haus bauen zu lassen. Als wir ablehnten, sagte sie, der Anbau würde auch über einen separaten Eingang verfügen. Damit hätte ihr Haus vier Adressen gehabt! Als wir immer noch ablehnten, ließ sie das Thema fallen. Hauptsache, wir heirateten kirchlich! Wir waren hier schließlich im katholischen Süditalien, wo eine Hochzeit ein sehr religiöses Ereignis ist. Manche Regeln konnte nicht einmal ich ignorieren. Oder vielleicht doch?
    Nachdem ich Daniela gebeten hatte, mich zu heiraten, hatte ich sie auch gefragt, wo sie mich heiraten wolle. Als sie aufhörte zu weinen, sagte sie, dass ihr die Vorstellung schon immer gefallen habe, in der berühmten Kathedrale von Otranto zu heiraten, einer mittelalterlichen Hafenstadt nördlich von Andrano. Die eindrucksvolle Basilika, die 1080 von den Normannen errichtet und in den darauffolgenden Jahrhunderten ausgeschmückt wurde, steht mitten in der geschichtsträchtigen Altstadt auf einer kleinen, leicht geneigten Piazza. Zu ihr gehört auch das Priesterseminar, das ihr Vater einst besuchte. Was Daniela am meisten an der Kirche gefiel, war nicht ihr Rosettenfenster aus der Renaissance, sondern ihr riesiges Fußbodenmosaik, eines der größten der Welt, das den gesamten Innenraum bedeckt und Stück für Stück die Religions- und Kulturgeschichte der Menschheit nacherzählt.
    Auch die Geschichte Otrantos liegt innerhalb der Mauern der Kathedrale begraben. Als 1480 türkische Invasoren vom Meer her kamen und Kanonenkugeln abfeuerten, die noch heute die Straßen der Stadt säumen, verteidigten die Christen mutig ihre Stadt und ihren Glauben gegen die muslimischen Belagerer. Doch nach einer blutigen Schlacht, die fünfzehn Tage dauerte und einen Großteil des historischen Otranto dem Erdboden gleichmachte, wurde die Stadt erobert, und die Einheimischen mussten ihrer Religion

Weitere Kostenlose Bücher