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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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müssen sie stinkendes Wasser aus einer Quelle voller Schlangen, Frösche und Spinnen trinken. Wer danach dringend urinieren muss, wurde erlöst. Wie es bewertet wird, wenn man sich übergeben muss, weiß ich nicht.
    Wir tranken in der Notte della Tarantola jedenfalls etwas erheblich Köstlicheres, nämlich einen herben Weißwein eines lokalen Weinguts, der gerade mal drei Dollar pro Flasche kostete. Der Wahn der Pizzica befiel die ganze Piazza von Melpignano, und sogar ich verausgabte mich bei der Tarantella, obwohl ich mich mit erotischen Trancezuständen in der Öffentlichkeit eher schwertue. Daniela meinte, ich hätte mich wohl eher in einem Spinnennetz verfangen, als von seiner Eigentümerin gebissen worden zu sein. Ihre englische Freundin aus Lecce übte noch heftigere Kritik an meinem unorthodoxen Stil und sagte, ich sähe aus wie ein brünstiger Vogel Strauß mit einem nervösen Tick. Daraufhin zog ich es vor, einer Gruppe knapp bekleideter junger Frauen zuzusehen, die einmal im Jahr einen guten Vorwand hatten, um ihre biegsamen, braun gebrannten Körper zur Schau zu stellen.
     
    Am frühen Abend des 2. August saß ich auf den Haustürstufen und beobachtete wie sooft das Leben auf der Straße, als ein vigile vorbeikam und ein Plakat an unserem Mäuerchen befestigte, auf dem stand: »Sonderveranstaltung – Parken verboten«. Ungefähr alle zehn Meter befestigte er ein weiteres Plakat, sei es an einem Laternenmast, einer Mülltonne oder am Mäuerchen unserer Nachbarn, um die Einwohner zu informieren, dass morgen eine religiöse Prozession an ihren Häusern vorbeikäme.
    Schon um sieben Uhr früh wurde ich am nächsten Morgen von einem Chor derart unsanft geweckt, dass ich dachte, die Sarazenen wären wieder da. Die Wände zitterten, die Schutzbleche an unseren Fahrrädern klapperten, die Scheiben klirrten, Danielas Druck von Gustav Klimts Der Kuss fiel von der Wand, und die zwei Chihuahuas im Nachbargarten mussten kotzen vor lauter Angst. Nachdem die Burgkanone von Andrano ein Dutzend Mal abgefeuert worden war, hatte zweifellos der ganze Salento mitbekommen, dass heute Abend Andranos Festa Patronale della Madonna stattfinden würde.
    Kulinarische Feste sind geradezu bedeutungslos im Vergleich zur jährlichen Hommage einer Stadt an ihren persönlichen Schutzheiligen. Die meisten Orte im Salento feiern ein solches Dankesfest im Sommer. Beinahe jeden Abend hörte ich ein Grollen in der Ferne, welches das wundersame Aufziehen eines Gewitters anzukündigen schien – ein kleiner Hoffnungsschimmer auf Regen, der dem von der Sonne ausgedörrten Süden nur gutgetan hätte. Aber wenn ich dann auf die Dachterrasse eilte, stellte ich regelmäßig fest, dass der Donner nur von einer weiteren Kanone stammte, die auf einer etwas weiter weg gelegenen Burg abgefeuert wurde, oder aber von einem Feuerwerk weit hinten am Horizont. Keine Festa Patronale kommt ohne Feuerwerk aus, denn wichtiger als das Fest selbst ist es, die umliegenden Orte damit zu beeindrucken.
    Auf Danielas ketzerischen Rat hin hatte ich die religiösen Feste anderer Orte gemieden. Aber als Einwohner von Andrano konnte ich das eigene schlecht ignorieren. Seit dreihundert Jahren ehren die Andranesi ihre Schutzheilige, die Madonna delle Grazie – die Madonna voller Gnaden -, Anfang August mit einem extravaganten Stadtfest. Die Madonna ist die Koschutzheilige von Andrano und teilt sich die Verantwortung mit dem heiligen Andreas – dem Schutzheiligen der Fischer -, nach dem Andrano benannt wurde. So kommt der Ort in den Genuss von gleich zwei Feiertagen. Selbst in Orten, wo sie keine offizielle Schutzheilige ist, stehen am Straßenrand und auf den Piazze Schreine, die der Madonna gewidmet sind. Aber in Andrano ist sie etwas ganz Besonderes und schmückt viele Privathäuser. Deren Bewohner bringen oft einen Schaukasten an der Hauswand an, in dem die heilige Jungfrau steht, gütig und verstaubt, und für immer über jene wacht, die dahinter leben.
    Kurz nachdem unser Nachbar Umberto seine Chihuahuas gesäubert und beruhigt hatte, begannen sie erneut zu kläffen, weil die Prozession kam. Voraus gingen Don Francesco und mehrere Geistliche mit goldenen Stäben. Diesen heiligen Herren folgten vier untersetzte Männer mit einer lebensgroßen Madonnenstatue auf ihren Schultern sowie eine Blechblaskapelle, die mit mehr Begeisterung als Begabung spielte. Das Ende der Menschenschlange, die sich beinahe den ganzen Vormittag durch die Straßen schlängelte, wurde von

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