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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Francesco gekauft hatte. Er war zwar kein Panzer, bot aber auf Straßen, die Danny an die Flasche gebracht hatten und mir bald ein ganz ähnliches Schicksal bescheren würden, mehr Schutz als sein Vorgänger.
    Selbst die ängstlichsten Italiener fahren, als sei ihrer Beifahrerin soeben die Fruchtblase geplatzt. Alle anderen geben sich gefährlichen Autoscooter- alias Zerstörungsmanövern hin. Das Gefährlichste an meinem täglichen Arbeitsweg war Mailands circonvallazione oder Ringstraße. Obwohl sie so breit ist wie eine Rollbahn – zumindest aus der Perspektive der meisten Italiener -, waren darauf keinerlei Spuren markiert. Außerdem besaß sie mehr schwarze Flecken als ein Dalmatiner. Die Leute fuhren, als gehöre ihnen die Straße allein, sie blendeten auf, um langsamere Autos wegzuscheuchen, und hupten, wenn das nicht prompt geschah. Wie im Film Speed schienen sie Bomben an Bord zu haben, die explodieren, sobald man anhält oder auch nur langsamer wird. Ich fuhr in der Regel 20 km/h zu schnell und wurde trotzdem bedroht, geblendet und gezwungen auszuweichen, weil man meine Fahrweise deutlich zu lahm fand.
    Manche Fahrer reagierten sogar so allergisch auf das geringste Stocken des Verkehrs, dass sie auf den Bürgersteig fuhren, um dem Stau zu entgehen. Diejenigen, die auf der Fahrbahn blieben, schlossen Wetten darauf ab, welche Spur wohl die schnellste wäre, indem sie sich genau in die Mitte stellten. Eine Taktik, die nur dazu führte, dass der Stau immer länger und das Chaos immer größer wurde. Die Zebrastreifen waren verblasst und wurden ignoriert, genauso wie die Fußgänger, die sich darauf wagten. Ich hielt an, um eine Frau über die Straße zu lassen, woraufhin diese einen Knicks machte und mir einen Kuss zuhauchte!
    Unfälle waren an der Tagsordnung. Einmal sah ich, wie ein Motorradfahrer in einen in der zweiten Reihe geparkten Wagen hineinraste, während er versuchte, einen Bus von rechts zu überholen. Er war einer von mehr als 7000 Menschen, die jedes Jahr auf italienischen Straßen umkommen.
    Vigili kamen und zeichneten die Umrisse des Toten mit Kreide auf den Asphalt. Als ich während der nächsten Tage darüber fuhr, fühlte ich mich wie ein Grabschänder. Dann regnete es, und der Umriss verschwand.
    Die größte Gefahr stellten die Vespas dar, die trotz des heftigen Verkehrs kein bisschen langsamer fuhren. Ja, die meisten dieser Todesmutigen schienen den Hindernisparcours wie vorher in Andrano regelrecht zu genießen. Je nachdem, wie es ihren Fahrern gerade so passt, sind Vespas mal Motorräder, mal Fahrräder. Diese Verwandlung vollzieht sich in Sekundenbruchteilen – so lange, wie es nun mal dauert, den Bordstein hochzufahren und den Bürgersteig entlangzurasen. Sie terrorisieren Autofahrer und Fußgänger und sind für die Hälfte aller Unfälle verantwortlich. Damit sie ihr Tempo niemals drosseln müssen, schlängeln sie sich wie ein perpetuum mobile nach vorn und sausen davon, ohne den Boden jemals mit dem Fuß zu berühren.
    Eines Nachmittags sah ich, wie zwei Jungen auf einer Vespa eine rote Ampel überfuhren und die Fußgänger auf dem Zebrastreifen umschwirrten wie Möwen am Strand. Ein älterer Mann warf seinen Schuh nach den beiden, die in diesem Moment jedoch schon hinter einer dicken Auspuffwolke verschwunden waren. Ein vigile sah den Wahnsinn und blies in seine Trillerpfeife, bis er ganz rot im Gesicht wurde, begriff aber, dass es sinnlos war, die beiden mit seinem Fahrrad zu verfolgen. Italiens Verkehrspolizisten sehen dem Treiben ohnmächtig zu und dienen hauptsächlich der Dekoration. Tatsächlich sind ihre eleganten Uniformen so aufwendig, dass sie sogar einmal einen Streik auslösten, und zwar über die Frage, wie viel bezahlte Arbeitszeit für das Anziehen derselben anfällt.
    Wenn die Vespas den Verkehr wegen der damit verbundenen Aufregung lieben, geht es den Bettlern wegen ihrer damit verbundenen Verdienstmöglichkeit ganz genauso. Verhärmte Vagabunden bewachen beinahe jede Kreuzung, Männer, Frauen, Kinder, lauter müde ausgestreckte Hände, und Fensterputzer, die auf das Signal warten loszulegen. Viele sind krank oder behindert. Ein Albaner, an dem ich täglich vorbeifuhr, hatte ein Bein und drei Finger verloren. Wenn er es endlich geschafft hatte, das Fenster eines Wagens zu erreichen, war dieser bereits wieder angefahren. Aber ich wartete auf ihn und warf ihm eine Münze zu, und zwar unabhängig davon, wie lange er mit seinem Bein brauchte, um das Almosen

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