Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
ist ganz sicher, dass niemand Jamie-Lee verletzt hat oder so.«
»Und auch nicht vergewaltigt!«, sagte der Junge etwas schrill. »Es war gar nicht so, wie die Leute sagen, also das war überhaupt nichts mit Ficken oder so und mit geilen Erwachsenen und so. Und auch nichts mit Kinderschänder. Weil alle Leute sagen … Also, ich meine, die Erwachsenen sagen hier alle solche Sachen. Weil, ging ja auch gar nicht, denn keiner wusste, wo wir sind.«
»Warst du dabei, als Jamie-Lee umgefallen ist?«
»Nein, wir waren ja später, sie war ja schon weg, weil sie nicht wollte, dass ihre Mutter das merkt. Wegen dem Traumhaus und so.«
»Also gut, du hast doch sicher eine Uhr. Jamie-Lee ist gegen neun Uhr morgens auf dem Weg gefunden worden. Wo wollte sie denn da hin?«
»Rumlaufen, damit sie von vorne ins Haus kommt.«
»Gut, das verstehe ich. Aber ich will jetzt nur wissen, ob du oder jemand anderes sie gesehen hat, wie sie da lag.«
»Ja, klar. Also Törtchen ging dann ja denselben Weg, und Jamie-Lee lag da. Und weil die nicht mehr atmete, hat Törtchen Angst gekriegt und ist weggelaufen. Aber mit Schminke war da gar nichts.«
»Weißt du denn, um wie viel Uhr das war?«
»Weiß ich nicht. Also, man sieht sich.«
»Ja«, sagte ich nachdenklich.
»Jetzt erzähl mir nicht, dass das schon wieder ein Zeuge war«, seufzte Emma.
»Ja, war einer. Ein Kind. Es sagte, Jamie-Lee sei einfach umgefallen, und das mit dem Ficken und Jamie-Lee wäre alles falsch. Alle Erwachsenen reden Scheiß. Und geschminkt haben sie sie auch nicht.«
»Da sind wir aber froh«, bemerkte Rodenstock süffisant. »Zwischen mir und den Kohlehydraten liegen nur noch ein paar Minuten Autofahrt.«
Also hockten wir uns in das Auto und fuhren nach Zermüllen, erreichten es aber nicht, weil oben auf der B410 nach Kelberg ein LKW versucht hatte, den Berg quer herunterzufahren. Es war ihm nicht gelungen, und er war auch nicht mehr in der Lage, das zu korrigieren. Jemand sagte, ein Kran sei schon unterwegs, und der Fahrer im vierten LKW von hinten habe einen Kasten Stubbi bei sich und sei ein netter Kerl, und der Fahrer des Unglücksfahrzeugs sei sowieso nicht mehr besinnungslos. Die Eifel hat zuweilen Surrealistisches.
»Wir fahren nach Hause und machen uns eine Butterstulle«, bestimmte Emma.
»Dann setzt mich zu Hause ab«, sagte ich. »Ich will keine Butterstulle. Und ich habe noch einiges zu erledigen.«
»Das ist aber auch ein blöder Fall«, schimpfte Rodenstock, aber es wirkte nicht sonderlich überzeugend, weil er im Grunde diese Fälle liebte. Immer, wenn es um »Was wäre wenn?« ging, war Rodenstock genial, Konjunktive machten ihm immer Spaß, weil das Denken ihm Spaß machte.
»Dann könntest du wenigstens gegen Abend bei uns sein, wenn Jennifer kommt«, mahnte Emma an.
Und da wir gerade an der Kirche vorbeirauschten und ich meinen Hof schon sehen konnte, sagte ich: »Ich habe auch Besuch, wie du siehst. Ich melde mich.«
Da stand ein uralter, weißer Golf, in dem eine Frau saß, die in einem Buch las und einen äußerst gelassenen Eindruck machte. Sie trug ihr kurzes Haar weißblond gefärbt, und es sah aus wie eine unorganisierte Wurzelbürste, aber ungemein lebenslustig. Ich schätzte sie auf ungefähr vierzig Jahre.
Sie sah mich sehr ruhig an, lächelte schnell und stieg aus. »Ich will Sie nur kurz überfallen«, sagte sie mit einer angenehm dunklen Stimme. »Mein Name ist Claudia Reiche. Ich bin aus Simmerath.«
Rodenstock fuhr hinter uns vom Hof und dann den Berg hinauf nach Heyroth.
»Gerne«, erwiderte ich. »Kommen Sie einfach mit. Wir können uns auf die Terrasse setzen.«
Sie trug rote Cordhosen, eine dunkelblaue Bluse und einfache rote Sportschuhe. Sie war sehr klein und wirkte wie ein Mädchen, das die Welt entdeckt.
»Möchten Sie irgendetwas trinken?«
»Vielleicht ein Wasser«, sagte sie.
Ich besorgte das, stellte es vor sie hin und goss ihr ein. »Was kann ich denn für Sie tun?«
»Ich habe gehört, dass Sie durch die Gegend fahren und alle Welt nach Jakob Stern befragen. Also, eigentlich bin ich hier, um … ja, um einen Schaden von Jakob Stern abzuwenden, wenn man das so sagen kann.«
»Oh, das ist nett, aber ich denke, dass dieser Jakob Stern sich selbst ganz gut verteidigen kann. Ich habe nicht die Absicht, ihn in irgendeiner Weise zu erwähnen. Und ich muss auch hinzufügen, dass ich ihn gar nicht kenne. Und ich werde wohl auch nichts über diese Affäre schreiben.« Ich wollte erwähnen, dass es
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