Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
Esoterik, Frau Rodenstock?«
»Ich trage immer noch meinen eigenen Namen«, sagte sie hoheitsvoll. »Also, Esoterik stammt ursprünglich aus der griechischen Antike und meinte Geheimlehren, die nur einem eingeweihten Kreis von Menschen zugänglich waren. Heute versteht man darunter alle übersinnlichen Erfahrungen und Phänomene. Esoterisch bedeutet auf griechisch innerlich, geheim, nur für Eingeweihte verständlich. Das heutige starke Interesse der Menschen an Esoterik resultiert wahrscheinlich daher, dass die Leute gegen nüchterne rationalistische und naturwissenschaftliche Weltbilder sind, dass sie die Nase voll haben von Erklärungen, die ausschließlich auf der Frage basieren, wie viel Geld irgendwer oder irgendwas wert ist. Die Kirchen haben versagt, die Menschen lieben Geheimnisse, und das Esoterik-Gemurmel liefert ihnen das. So kommt die alleinerziehende Mutter, von der du eben gesprochen hast, in die Lage, sich selbst Bedeutung zu geben und aus ihrem persönlichen Nichts aufzutauchen. Sie wird zur Hexe, oder zur Lebensberaterin, sie pendelt, legt Tarot-Karten, channelt mit einem Erzengel. Sie tritt im Fernsehen auf, strahlt dich an und behauptet, deine Zukunft sehen zu können. Und manchmal sagt sie, dass eine große Gefahr auf dich zukommt, dass du möglicherweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerätst, obwohl du selbst ganz gut weißt, dass du längst pleite bist. Es ist billig, und es ist Abzocke. Bei den Hexen bin ich vorsichtiger, weil es gewisse Dinge gibt, die passieren, aber nicht recht erklärbar sind.«
»Sie trinkt Mondwasser«, erklärte ich. »Sie hat einen großen, künstlich hergestellten, blauen Kristall für achtzig Euro in eine Wasserkaraffe gehängt. Das ist dann Mondwasser, sagte sie. Und es enthält positive Energien, sagt sie. Und ihre Kinder macht das ruhiger.«
»Das ist Esoterik-Scheiß«, sagte Rodenstock unwillig.
»So einfach ist das nicht«, erwiderte Emma. »Wenn du daran glaubst, kann möglicherweise deine Entwicklung positiv beeinflusst werden, also etwa Reiki mit Engeln und Edelsteinen. Das ist der Titel eines Buches. Es geht auch um Kontakte zu Geistern und Geistwesen, zu Engeln, zu Verstorbenen, zu Außerirdischen. Das alles sagt mir mein Lexikon. Und ich weiß auch, dass mit diesen Dingen ein Schweinegeld verdient wird.«
»Und wer verdient das Geld?«, fragte ich.
»Die, die das Ganze organisieren«, antwortete Emma. »Es ist wie immer.«
»Was, bitte, ist denn Reiki?«, fragte ich. »Ich habe da offenbar eine erhebliche Bildungslücke.«
»Ach, du lieber Gott«, murmelte Rodenstock. » Das weiß ich ja sogar. Das ist eine japanische Heilmethode, von der kein Mensch wirklich weiß, ob sie denn funktioniert oder nicht. Sie will allerdings den Arzt nicht ersetzen. Die Schweizer erkennen die Methode offiziell bei der Nachsorge frisch Operierter an. Die Leute legen dir die Hände auf und heilen dich, einfach so. Es gibt aber auch Gruppenbewegungen, die glauben, durch intensive Anrufungen kranke Wälder heilen zu können. An der Stelle, würde ich sagen, wird es kritisch, dem könnte ich nicht folgen. Natürlich kümmern sie sich um deine Chakren und um deine Aura. Da gibt es einen Mann, der eine CD mit heilenden Gebeten im Fernsehen anpreist. Und er behauptet, wenn du eine Lücke in deiner Aura hast, kannst du diese Lücke mit seinen Gebeten wieder schließen. Es ist also die Reparatur seelischer Schlaglöcher, wenn du so willst. Du kannst es auch vergleichen mit einer Rostlaube. Bete die Gebete und die Karre hat keinen Rost mehr. Und es wirkt, sagen viele. Es geht um Energieströme. Die heilenden Gebete kosten fast dreißig Euro, und setzen eigentlich voraus, dass die Deutschen in der Mehrzahl Analphabeten sind. Das Vaterunser hat er ebenfalls auf die CD aufgenommen.«
»Na, denn«, sagte ich. »Es hört sich an wie ein Zirkus.«
»Es ist auch einer«, sagte Emma nachdenklich. »Manches wirkt, manches nicht. Und es ist verdammt schwierig, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
»Da bin ich aber dankbar, dass Jamie-Lee einen Herzfehler hatte«, murmelte Rodenstock sarkastisch. »Wir wären im esoterischen Sumpf umgekommen. Und was ist das für eine Geschichte mit deiner Bankenfusion?«
»Die Christlichen haben hierzulande mit erdrückender Mehrheit festgestellt, dass zwei Kreissparkassen fusionieren sollen, weil das angeblich zweckmäßiger ist und ein sicherer Weg in die Zukunft. Eine der beiden Kassen ist sehr gut, die andere sehr mittelmäßig. Die
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