Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
anrufen, wird er es Ihnen sagen. Die Abzüge schicke ich Ihnen zu.«
»Ich muss in Hamburg Bescheid geben, dass wir jetzt drei Leichen haben«, sagte ich zu Emma und Rodenstock. »Das wird langsam unheimlich. Wenn ihr Jennifer mitnehmt, kann ich heimfahren und arbeiten. Außer Schamanen und Hexen haben wir nichts.«
Mein Handy meldete sich, über die automatische Umleitung kam ein Anruf von meinem Festnetztelefon. Jemand, dessen Stimme ich kannte, der Mann, der mich schon einmal anonym angerufen hatte, sagte: »Halleluja, Herr Baumeister, da können wir Gott danken, er hat das Böse zerschmettert, und den Schüler des Satan getötet. Ich will Ihnen nur schnell sagen, dass ich ohne Pause gebetet habe, und dass mein Rufen erhört wurde. Halleluja, nun können wir froh in die Zukunft gehen. Sie sehen, das Gute wird siegen.« Die Stimme klang nach Schnaps und hundert Zigaretten pro Tag und nach sehr viel Hass.
Ich unterbrach die Verbindung und knurrte: »Spinner.«
»Wie hat denn Jennifer reagiert?«, fuhr Emma unbeirrt fort.
»Ausgesprochen gut. Sie hat sich selbst überwunden. Ich fahre dann.« Ich wollte nur noch heim, ich sah keinen hellen Punkt am Horizont, und ich war todmüde. »Wir sollten telefonieren.«
»Ja«, nickte Rodenstock. »Das machen wir.« Sein Gesicht war grau und voller Falten.
Ich dachte daran, dass er eines Tages hoffnungslos sagen würde: »Ich kann das nicht mehr.« Und ich wusste, dass ich darauf keine Antwort haben würde.
Als ich auf meinen Hof fuhr, war es 17.30 Uhr. Mein Kater kam heran und rieb sich an meinen Beinen. Ich gab ihm zu fressen und telefonierte dann mit der Redaktion in Hamburg. Ich setzte mich an den Computer und schrieb einen Recherchenbericht, den ich postwendend per E-mail nach Hamburg schickte.
Die vier Seiten verbreiteten Hoffnungslosigkeit und ergaben nicht einmal einen theoretischen Lösungsansatz. Sagen wir so: Meine Geschichte klang derart deprimierend, dass kein Redakteur von Rang die Geschichte einplanen konnte. Bis jetzt war meine Story Schrott.
Bei den Toten hatten wir es mit der Groteske zu tun, dass wir keine Ahnung von ihrem alltäglichen Leben hatten und nicht einmal genau wussten, mit was sie ihr Brot verdienten, wie sie sich finanzierten, ob sie irgendwelche Projekte verfolgten. Bei Vonnegut konnte man noch großzügig und vage sagen: Er machte in Versicherungen. Bei Jakob Stern und seinem Bruder hatten wir nichts. Wir wussten buchstäblich nichts, außer ein paar merkwürdigen, fraglichen Tatsachen über Schamanismus, über zeitweiliges Saufen, über hellauf begeisterte Kinder und den Fund von zweiundsechzigtausend Euro in bar. Du stehst in solchen Situationen als Journalist dicht vor einer Betonwand und gestehst: Ich habe nichts, ich weiß nichts, ich ahne nichts! Und das ist eine Anklage gegen den Journalisten, keine Entschuldigung. Wir hatten von Beginn an irgendetwas grundsätzlich falsch gemacht, und wir hatten keine Ahnung, was das sein könnte.
Dann noch diese verrückte, immer noch unklare Tatsache, dass der Bruder Franz vom Sozialamt unterstützt wurde, und der Bruder Jakob das Geld anschließend in bar zurück zum Amt trug. Was war das? War das eine der berühmten Eifel-Schleifen, in denen alles anders gehandhabt wird als anderswo auf der Welt? Welche Behörde lässt sich auf so ein Spielchen ein? Und noch einmal die zweiundsechzigtausend in bar: Welches Finanzamt führt einen Schamanen aus der Eifel unter dem Begriff »keine nennenswerten Einnahmen«, wenn der ziemlich viel Bargeld in seinem Haus achtlos in eine Schublade stopft? Es kam noch erschwerend hinzu, dass der Mann ein altes Bauernhaus entkernt und dann sehr teuer, durchaus luxuriös ausgebaut hatte. Und das mitten in einem Nationalpark, in dem man nicht einmal ein Gänseblümchen ungestraft pflücken darf, und in dem es alte und neue Häuser gibt, die man aus Gründen eines rigiden Naturschutzes leer räumt, um sie später entweder abzureißen oder einfach vergammeln zu lassen. Was lief da im schönen Einruhr?
Ich brauchte den Ortsvorsteher, und zwar sofort. Und notfalls musste ich ihn an seinen Wappenteller nageln, bis er alles gesagt hatte. Nach einigen telefonischen Umwegen kam ich an eine Durchwahl.
Er hieß Hoppe, und er wirkte gemütlich. Er sagte zu Beginn: »Also, was ich weiß, kann ich Ihnen ruhig sagen. Wir verstecken hier nichts.«
»Das ist lobenswert«, sagte ich. »Ich stehe vor ein paar Problemen bei den Gebrüdern Stern. Wir haben da den Jakob, der in
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