Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
Sitzen einschlafen.
»Du kannst dir ein Bett hereinrollen lassen. So, wie du aussiehst, musst du zwanzig Stunden in die Waagerechte.«
»Ich habe keine Minute geschlafen. Ich fahre gleich heim, und jeder, der mich stört, muss mit der Todesstrafe rechnen. In meinem Alter sollte man so etwas nicht mehr machen. Also gut, du siehst besser aus, du hast keine Schmerzen, du hast den Gips, jetzt hörst du mal zu.«
»Moment, Moment«, unterbrach ich. »Wann kann ich denn hier verschwinden?«
»Bald«, sagt die Ärztin. »Keine gesundheitlichen Einwände. Jetzt hör mir zu.«
»Wann ist denn bald?«
»Morgen, oder heute Nachmittag schon, ich weiß es nicht. Ich frage mich die ganze Zeit, warum wir die Bürokraten nicht eher eingeschaltet haben. Das dürfte in unserem Alter eigentlich nicht mehr passieren. Wir haben über Tage wichtige Fragen an wichtige Leute nicht gestellt, was mich auf den Verdacht bringt, dass das Alter mich eingeholt hat. Und Altwerden ist beschissen, glaub mir das. Wie auch immer, ich sage dir jetzt, was Griseldis gestern Emma und mir gesagt hat, und ich sage dir, was dieser Wolfgang Hellmann vom Finanzamt gesagt hat. Wir haben bis sechs Uhr morgens in deinem Wohnzimmer getagt. Du hast nichts mehr im Eisschrank, und deine Rotweinvorräte sind drastisch reduziert. Du hast auch Ebbe bei deinen unbeschreiblichen Dosen mit Eintöpfen. Aber wir sind endlich weiter gekommen. Wenn du einverstanden bist, konzentriere ich mich erst einmal auf den Jakob. Der ist der Schlüssel der Ereignisse. Und dann sage ich dir etwas zu den Männern, die dich gestern Abend besuchten.«
»Dann leg mal los. Soll ich nach einem Kaffee rufen?«
»Kein Kaffee mehr! Die ganze Geschichte ist nur zu verstehen, wenn man weiß, wie der Jakob zum Schamanen wurde. Ich mische hier mal die Aussagen der Griseldis mit denen von dem Finanzamtsmenschen, der übrigens eine gute Type ist, aber ganz heillos korrumpiert, wenn es um die Eifel geht. - Es fing eigentlich schon an, als die Mutter von Jakob Stern, Liesel Stern, ihren Söhnen beibrachte, was man alles mit Kräutern aus der Eifel bei menschlichen Krankheiten ausrichten kann. Liesel hatte es schon von ihrer Mutter und Großmutter übernommen, Liesel hieß bei den Leuten die Kräuter-Fee, und sie hatte eine Fülle von Rezepten gegen beinahe alles, was man sich an Gebrechen und gesundheitlichen Schwierigkeiten vorstellen kann. Jakob lernte begierig, Franz weniger, weil er zu sprunghaft war, weil es ihm schon als Kind schwer fiel, sich zu konzentrieren. Es war von Beginn an eindeutig, dass Jakob den Hof weiterführen würde. Und es war ebenfalls klar, dass auch Franz auf dem Hof arbeiten sollte. Die beiden Brüder liebten sich, übrigens bis zuletzt, und im Ernstfall sprang jeder von ihnen dem anderen bei. Also war es in gewissem Sinn eine heile Welt. Dann aber änderte sich einiges, es kam die Idee vom Nationalpark Eifel auf, und es war von Beginn an vollkommen klar, dass unter diesen Umständen der Hof nicht mehr zu halten war. Er liegt schlicht mittendrin, das konnte nicht gut gehen. Ich verzichte hier auf Einzelheiten, ich beschränke mich auf Wichtiges. Die Eltern der beiden Brüder wurden alt, sie waren häufig krank, sie konnten den Hof nicht mehr bewirtschaften, sie mussten sich auf die Söhne verlassen. Und das konnten sie zunächst auch. Irgendwann landeten die Eltern in einem katholischen Altenheim, und die Kosten, die jenseits der Pflegekasse auftraten, brachten Jakob und Franz irgendwie auf, sie schufteten sehr konzentriert, und sie sorgten rührend für ihre Eltern. Die Kräuter-Fee sagte ihrem Sohn Jakob, er solle doch weiter Kräuter suchen, und es sei wirklich möglich, damit etwas Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das glaubte Jakob einfach nicht.«
Rodenstock macht eine kurze Pause und schien seine Gedanken ordnen zu müssen. »Teil eins der Aufgabe des Hofes bestand darin, die Rinderherde abzuschaffen, es waren gut zweihundert Tiere. Die Brüder kassierten großzügig bemessene landwirtschaftliche Prämien von der Europäischen Union, das heißt, sie konnten verdammt gut leben und hatten zunächst keine Schwierigkeiten. Aber da die finanziellen Hilfen irgendwann auslauten würden, waren sie gezwungen, für sich selbst andere Wege zu suchen. Franz versuchte das gar nicht ernsthaft, Franz glaubte, dass es irgendwie immer weiterging, dass irgendjemand sich für ihn zuständig fühlte. Sein Bruder zum Beispiel. So kam es, dass Franz offiziell Unterhalt
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