Sigma Force 01 - Sandsturm
schaukelte leicht im Sog des Abflusses, ja schien sich sogar ein wenig zu winden.
Henry zögerte. Seine Finger zitterten leicht. Es sah fast aus, als würde das verdammte Ding noch leben.
»Jetzt reiß dich zusammen, alter Mann«, machte er sich selbst Mut.
Dann atmete er tief durch und packte die Schlange in der Mitte. Vor Ekel verzog er das Gesicht und knirschte mit den Zähnen. »Gottverdammtes Scheißding«, fluchte er im Dubliner Akzent seiner Jugend. Dann schickte er ein stummes Stoßgebet zum heiligen Patrick, weil der diese Viecher aus Irland vertrieben hatte.
Er zog den schlaffen Körper aus der Wanne, ließ ihn dann mit dem Schwanz voran in einen bereitgestellten Plastikeimer sinken und rollte den Körper darüber zusammen.
Als er den Kopf auf den Kadaver legte, staunte er abermals, wie lebendig das Tier noch wirkte. Nur das schlaff geöffnete Maul ruinierte das Bild.
Henry wollte sich eben wieder aufrichten, legte aber dann den Kopf schief, denn er sah etwas, das ihm merkwürdig vorkam. »Na, was ist denn das?«
Er drehte sich um und holte sich einen Plastikkamm vom Toilettentisch. Dann packte er die Schlange behutsam hinter dem Schädel und hebelte mit dem Kamm das Maul noch weiter auf, um seine Entdeckung zu bestätigen.
»Sehr merkwürdig«, murmelte er und tastete, um ganz sicherzugehen, das geöffnete Maul mit dem Kamm ab.
Die Schlange hatte keine Giftzähne.
9
Blut auf dem Wasser
3. Dezember, 01:02
Arabisches Meer
Safia stand an der Reling und schaute hinüber zu der vorbeiziehenden Küstenlinie. Das Schiff unter ihr knarzte und ächzte. Segel knallten in den wechselnden Winden über der mitternächtlichen See.
Es war, als hätte man sie alle in eine andere Zeit transportiert, in der die Welt nur aus Wind, Sand und Wasser bestand. Der Geruch des Salzes und das Flüstern der Wellen an den Flanken des Schiffes löschten Maskats Geschäftigkeit völlig aus. Noch leuchteten Sterne am Himmel, aber schon zogen Wolken heran. Noch bevor sie Salalah erreichten, würde es Regen geben.
Der Kapitän des Schiffes hatte den Wetterbericht bereits durchgegeben. Böen würden die Wellen auf über drei Meter hochtreiben. »Für die Shabab ist das kein Problem«, hatte er mit einem Grinsen gesagt, »ein bisschen schaukeln und schwanken wird es allerdings schon. Am besten bleiben Sie in Ihren Kabinen, wenn der Regen uns trifft.«
Safia hatte deshalb beschlossen, den klaren Himmel zu nutzen, solange er noch da war. Nach den Aufregungen des Tages war es ihr in der Kabine zu eng. Vor allem jetzt, da die Wirkung der Beruhigungsmittel langsam nachließ.
Sie sah die Küstenlinie vorbeigleiten, so still, so glatt. Die letzte Lichtoase, eine Industrieanlage am äußersten Rand von Maskat, verschwand hinter einer Landspitze.
Hinter sich hörte sie eine Stimme, offensichtlich um Gelassenheit bemüht. »Hier verschwindet der letzte Rest der Zivilisation, wie wir sie kennen.«
Clay Bishop trat an die Reling, hielt sich mit einer Hand fest und steckte sich mit der anderen eine Zigarette zwischen die Lippen. Er trug noch immer seine Levi’s und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift GOT MILK, »Habe Milch«. In den beiden Jahren, die er schon bei ihr studierte, hatte sie ihn nie etwas anderes tragen sehen als T-Shirts, die normalerweise Rockbands in grellen Farben anpriesen. Das schwarz-weiße, das er jetzt trug, war offensichtlich seine formelle Kleidung.
Leicht irritiert über die Störung, antwortete Safia steif und professoral. »Diese Lichter«, sagte sie und nickte in Richtung Festland, »markieren den bedeutendsten Industriekomplex der Stadt. Können Sie mir sagen, was es ist, Mr. Bishop?«
Er zuckte die Achseln, und nach einem Augenblick des Zögerns riet er: »Eine Ölraffinerie?«
Es war die Antwort, die sie erwartet hatte, aber sie war falsch. »Nein, es ist die Entsalzungsanlage, die die Stadt mit Trinkwasser versorgt.«
»Wasser?«
»Öl mag der Reichtum Arabiens sein, aber Wasser ist sein Lebenssaft.«
Sie ließ ihren Studenten diese Tatsache verarbeiten. Nur wenige im Westen wussten um die Bedeutung solcher Entsalzungsprojekte in Arabien. Wasserrechte und Frischwasserquellen ersetzten schon jetzt das Öl als Hauptursache für Streitigkeiten im Mittleren Osten und in Nordafrika. Bei einigen der heftigsten Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarn – dem Libanon, Jordanien und Syrien – ging es nicht um Ideologien oder Religionen, sondern um die Kontrolle über die Wasserreserven des
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