Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sigma Force 05 - Das Messias-Gen

Titel: Sigma Force 05 - Das Messias-Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
Vom Netzwerk:
ist der Ort, wo Archibald verschwunden ist.«

11

6. September, 17:38 Prypjat, Ukraine
    NICOLAS SPAZIERTE DURCH den Vergnügungspark der Geisterstadt.
    Ramponierte gelbe Autoscooter standen inmitten von hüfthohem Unkraut in grünen Wasserpfützen. Das Hallendach war längst eingestürzt, zurückgeblieben war ein Gerüst rostiger Stahlträger. Ein Stück weiter ragte das Riesenrad - der Große Wagen - in den Abendhimmel und hob sich als Silhouette von der tief stehenden Sonne ab. Die gelben, von Sonnenschirmen überdachten Sitze hingen reglos am verrosteten Stahlskelett. Ein Symbol und Mahnmal für die Ruine, die nach der Havarie des Kraftwerks von Tschernobyl zurückgeblieben war.
    Nicolas ging weiter.
    Der Park war aus Anlass der Erste-Mai-Feier im Jahr 1986 angelegt worden. Eine Woche vor dem Fest erstickte die Stadt Prypjat, Heimat von achtundvierzigtausend Arbeitern und deren Familien, jedoch unter einer Strahlenwolke. Die in den Siebzigerjahren errichtete Stadt war ein leuchtendes Beispiel der Sowjetarchitektur und des urbanen Lebens gewesen: Sie besaß ein Theater, das palastähnliche Hotel Polissia, ein modernes Krankenhaus und zahlreiche Schulen.

    Jetzt war das Theater verfallen. Aus dem Dach des Hotels wuchsen Birken. Die Schulen waren Ruinen voller verschimmelter Bücher, alter Puppen und Holzbauklötze. In einem Raum hatte Nicolas einen Haufen zurückgelassener Gasmasken entdeckt, die aussahen wie die skalpierten Gesichter von Toten. Von der einst pulsierenden Stadt waren nur noch zerbrochene Fensterscheiben, eingestürzte Mauern, alte Bettrahmen und abblätternde Farbe übrig geblieben. Überall wuchsen Unkraut und Bäume und brachten zum Bersten, was Menschen erbaut hatten. Jetzt kamen nur noch Reisegruppen hierher, die für vierhundert Dollar pro Kopf die Geisterstadt erkundeten.
    Und das alles nur wegen …
    Nicolas beschirmte mit der Hand die Augen und blickte in die Ferne. In dreieinhalb Kilometern Entfernung konnte er gerade so eben ein dunstverschleiertes Bauwerk ausmachen.
    Das Kernkraftwerk Tschernobyl.
    Bei der Explosion des Reaktors war eine Strahlenwolke freigesetzt worden, die sich um die ganze Welt verteilt hatte. Der Wald rings um die Stadt hatte sich vom radioaktiven Staub rot gefärbt. Die Stadtbewohner hatten ihre Veranden und Balkone gefegt, während drei Kilometer weiter das Plutoniumfeuer brannte.
    Nicolas schüttelte den Kopf, vor allem deshalb, weil ihm eine Nachrichtencrew folgte, die Füllmaterial für die Abendnachrichten drehte. Nicolas schritt durch den Vergnügungspark. Man hatte ihm dringend geraten, sich an den neu verlegten Asphaltstreifen zu halten, der durch die Ruinen der verlassenen Stadt führte. Auf den bemoosten, unkrautüberwucherten Wegen war die Strahlung höher. Die schlimmsten Zonen waren mit dreieckigen gelben Warnzeichen markiert. Die Asphaltstraße hatte man angelegt, um die Flut der Würdenträger,
Politiker und Berichterstatter bewältigen zu können, die zur Einweihung des neuen Stahlsarkophags, unter dem die bröckelnde Betonhülle versiegelt werden sollte, nach Tschernobyl strömten.
    Heute Abend würde das Hotel Polissia vorübergehend in altem Glanz erstrahlen. Der Ballsaal war eilig renoviert und dekontaminiert worden. Dort sollte heute Abend eine Party stattfinden; Gesellschaftsanzug war Pflicht. Man hatte sogar die aus dem Dach herauswachsenden Birken abgesägt.
    Für die internationalen Gäste nur das Beste. Es würden Vertreter aus allen Ländern anwesend sein, sogar ein paar Hollywoodstars. Prypjat würde eine Nacht lang leuchten, eine prachtvolle Galaveranstaltung inmitten des radioaktiv verseuchten Katastrophengebiets.
    Auch der russische Präsident und der Premierminister würden anwesend sein, zusammen mit zahlreichen Angehörigen beider Parlamentskammern. Viele Gäste waren bereits angereist, sprachen sich halbherzig für Wandel und Reformen aus und versuchten, aus dem Ereignis politisches Kapital zu schlagen.
    Niemand aber hatte sich so vehement für grundlegenden Wandel ausgesprochen wie der Abgeordnete Nicolas Solokow. Und nach dem vereitelten Attentatsversuch von heute Morgen stand er im Mittelpunkt des Scheinwerferlichts.
    Verfolgt von den Kameras, trat Nicolas vom Asphaltweg hinunter und näherte sich einer Hauswand. Mit schwarzer Farbe waren darauf zwei Kinder gemalt, die mit einem Spielzeuglaster spielten. Diese Art Schattenkunst fand sich in der ganzen Stadt, beunruhigend und verstörend, denn sie beschwor die Gespenster der

Weitere Kostenlose Bücher