Signal: Roman (German Edition)
ihnen damit begonnen, testweise an den Fingern des toten Quaffer zu knabbern.
»Kann von den andern noch jemand sprechen?«
Bei ihrer Antwort bewies Nyala, dass sie mehr als nur die Grundlagen der Sprache gelernt hatte, indem sie verneinend den Kopf schüttelte. »Alle können denken. Einige Experimente waren effektiver als andere. Einige andere …« Ihre Stimme versagte. Ingrid blieb ganz still. Dann streckte das Erdmännchen den Rücken durch. »Andere hatten weniger erfolgreiche Sprachmanipulation. Nur ich kann sprechen.« Dann machte das kleine Erdmännchen eine Geste, die Ingridunglaublich berührend fand: Es senkte den Kopf, bis es eine kleine schwarze Pfote zwischen seine Ohren legen konnte. »Eine andere Sache ist außerdem entscheidend. Experimentleute sagen, ich wäre … Genie.«
Whispr nickte verständnisvoll. »Und aus diesem Grund hat dich dieser, äh, Stamm zu seiner Anführerin gemacht?«
»Erdmännchenanführer ist immer weiblich«, fuhr sie ihn an. »Ich wurde ausgewählt, weil ich den anderen am besten helfen kann zu überleben. Nicht weil ich viel denken und menschlich sprechen kann. Das ist Namib-Heimat. Hier ist Erdmännchensprache viel hilfreicher als Menschengeknurre.«
»Dagegen lässt sich nichts einwenden«, murmelte Ingrid. »Aber du hast uns noch immer nicht erklärt, warum ihr uns geholfen habt.«
»Ich weiß noch, dass ich oft gefesselt wurde. Dass ich mich gewehrt habe. Dass ich … verletzt wurde.« Nyala ließ sich auf alle viere nieder, ging zu Ingrid hinüber, stand dann auf und legte eine Pfote auf die Hand der Ärztin. »Gefesselt werden gegen seinen Willen ist falsch.« Sie sah zu der Leiche des Freewalkers herüber. »Anderen wehzutun ist falsch. Und … Es ist wichtig für das Überleben der Spezies, dass die dominanten Weibchen zusammenhalten.«
Ingrid hatte bei diesen Worten einen Kloß im Hals, doch Whispr empfand keine derartigen Emotionen.
»Dominante Weibchen …?« Er zuckte mit den Achseln. »Wie du meinst.« Dann hob er eine Hand und deutete auf Quaffers Leiche. »Ich schätze, ihr habt diesen Widerling mit etwa fünfzig bis sechzig dieser kleinen Nadeln gespickt. Obwohl die größte davon nur wenige Zentimeter lang ist, ist der Freewalker umgefallen wie einer meiner Freunde, wenn er mal wieder zu viel Redruzz intus hat.«
Nyala nahm die Pfote von Ingrids Hand und drehte sich zu dem Menschenmann um. »Nadeln sind Codondornen, in Skorpiongift getaucht. Erdmännchen fressen Skorpione. Gift ist stark, aber wir sind immun.«
Whispr nickte. »Okay. Jetzt ist mir klar, was ihn ausgeschaltet hat. Vielleicht könntet ihr uns einige dieser Nadeln überlassen? In einem Handgemenge könnten sie sich als nützlich erweisen und …«
»Nein!« Nyala huschte auf allen vier Beinen von ihm fort. »Menschen haben genug Dinge, um wehzutun.« Sie sah Ingrid an. »War es ein Fehler, euch zu retten?«
»Nein … Nein, das war kein Fehler, und wir sind euch dankbarer, als wir es in Worte fassen können.« Ingrid warf ihrem Begleiter einen Blick zu. Whispr war klar, dass er das Erdmännchenweibchen beleidigt hatte, und hielt den Mund. »Mein Freund … Hier draußen in der Namib gibt es so viele Gefahren, und er ist nun mal gern auf alles vorbereitet.«
Nyala erhob sich auf die Hinterbeine und deutete auf die Leiche des Freewalkers. »Das ist die schlimmste Art von Gefahr an jedem Ort, und in der Namib gibt es nicht sehr viele davon. Bleibt in der Namib, dann geht ihr der größten Gefahr aus dem Weg.«
Ingrid lächelte freundlich. »Wenn das eine Einladung ist, dann danken wir dir. Aber wir können nicht bleiben. Wir müssen etwas erledigen. Wir müssen weiter.«
»Auf uns wartet der Tod«, flüsterte Whispr, hielt daraufhin jedoch sofort wieder den Mund.
Ingrid warf ihm erneut einen Blick zu, aber Nyala ließ sich durch seine Worte nicht beunruhigen. »Auf uns alle wartet der Tod. Erdmännchen, Kobra, Leopard, Schakal oder Vogel. Menschen durch Waffen oder Bomben oder böse Worte. Ichmöchte eines Tages von einem Adler geholt werden. Das ist ein ehrlicher Tod, und eine Kreatur nährt die andere. Wenn Menschen einander töten, profitiert kein Tier davon, und auch kein Mensch. Ihr vergeudet die Welt.«
Dem musste Ingrid nun doch widersprechen. »Ich bin eine Verfechterin des Recyclings.«
»Andere Dinge. Nicht euch. Nur künstliche Sachen, damit ihr euch besser fühlt.« Nyala drehte sich um und bellte ihrer Gruppe etwas zu. »Wir werden euch
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