Signum - Die verratenen Adler
Sofort.« Der Ton des Statthalters war so scharf, dass selbst Lucius die Worte fehlten.
Sie erhoben sich eilig und gingen hinaus. Die Wachen lieÃen sie passieren, und bald waren sie wieder mitten im Gewühl der Soldaten und Handwerker auf dem Weg zu dem Block, in dem sie untergebracht waren.
»Wenn wir ihm den Brief geben, haben wir gar nichts mehr in der Hand«, maulte Lucius. Er war ungehalten über den schroffen Ton des Statthalters. »Er könnte ruhig etwas dankbarer sein!«
»Warte erst mal ab«, sagte Caius, der vom schnellen Gehen schon etwas auÃer Puste war. »Er will nur nicht, dass der Brief in die falschen Hände gerät. Ist doch wohl verständlich.«
»Meinst du, er verrät uns noch was?«
»Keine Ahnung. Vielleicht wird er zugänglicher, wenn er hat, was er will.«
Sie standen am Anfang der Gasse, die zu ihrer Unterkunft führte. Caius erstarrte. »Wo ist die Wache?«, zischte er seinem Freund zu.
Lucius riss die Augen auf. Der Leibwächter, den Caius vor dem Eingang postiert hatte, war nicht zu sehen. Wie auf ein Kommando rannten sie los und stürzten in ihre
Unterkunft. Auf den ersten Blick war alles unverändert. Doch im nächsten Moment vernahmen sie aus der Vorratskammer, die von einem Vorhang abgetrennt wurde, ein dumpfes Stöhnen. Caius schob das schwere Leinentuch beiseite. Dahinter lag ihr Leibwächter auf dem Bauch. Seine Hände und FüÃe waren gefesselt. Caius drehte ihn auf die Seite. Der Mann hatte ein Tuch im Mund und konnte kaum atmen. Als Caius ihm den Knebel zwischen den Zähnen herauszog, begann er zu japsen und war zunächst nicht in der Lage, auch nur ein Wort hervorzubringen.
Während Caius sich noch an den Fesseln abmühte, stürzte Lucius, einer furchtbaren Ahnung folgend, zurück in den groÃen Raum und begann dort unter seinem Bett zu wühlen. Kurz darauf stand er wieder neben dem Vorhang, bleich vor Wut. Caius blickte auf. »Die Schatulle ist weg«, sagte Lucius tonlos. Dann hieb er mit der Faust wutentbrannt gegen den Türrahmen.
18
Am späten Nachmittag nach ihrem Auftritt als Bäuerin in Castra Lupiana stand Fastrada wieder vor dem Gehöft von Irmins Freund Batwin und zäumte das Maultier ab. Der Rückweg war weniger beschwerlich gewesen als der Hinweg, denn der Karren war wie leer gefegt gewesen und das Tier hatte ihn fast schon leichtfüÃig über Stock und Stein nach Hause gezogen. Sie gab ihm einen Klaps und wandte sich dann dem Wagen zu, um die Säcke zusammenzulegen und die Körbe ineinanderzustellen, als seien selbst diese letzten Handgriffe ein unverzichtbarer Teil der Rolle, die sie Irmin zuliebe gespielt hatte.
Was sie vor dem Lager der Römer gesehen hatte, war gleichzeitig überwältigend und beklemmend gewesen. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass es auf der ganzen Welt so viele Menschen gab, wie an diesem einzigen Tag dort am Fluss aus den Booten geklettert waren. Vor ihren Augen war ein Lager entstanden, das zwanzigmal gröÃer war als ihr Dorf, an dessen Palisade ihr Vater und die anderen Männer monatelang gearbeitet hatten.Wir gehen in den Wald und fällen Bäume, dachte sie. Die Römer nehmen ganze Wälder mit auf die Reise, Wälder aus Booten, Wälder aus Schanzpfählen und Katapulten, Wälder aus Menschen und Tieren, die sich über das Land bewegen, als würden sie von Wodan persönlich hin und her geschoben. Wie konnte Irmin glauben, dass er diese wandernden Wälder mit seinen Leuten einfach aus dem Hinterhalt abholzen konnte?
Sie hatte einmal gesehen, wie er mit seiner Schwadron zu einer Patrouille ausgeritten war. Die Gruppe war Fastrada wie eine riesige Streitmacht vorgekommen. Nach dem, was sie heute gesehen hatte, war diese Kavallerie nichts als ein kleiner Haufen mehr schlecht als recht bewaffneter Krieger.
Immerhin war ihre Aufgabe viel einfacher gewesen, als sie sich vorgestellt hatte. Wie der Fluss vor ihr die römischen Soldaten ausgespuckt hatte, waren aus dem Wald die Reiter der Hilfstruppen zu Hunderten herausgequollen, vor allem Brukterer und Marser, kaum Cherusker, was sie beruhigt hatte, denn von denen hätte sie sicherlich der eine oder andere wiedererkannt und es hätte Gerede gegeben. Dass sie Männern auffiel und im Gedächtnis blieb, das hatte sie bei früheren Gelegenheiten schon zur Genüge feststellen dürfen: herausfordernde Blicke,
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