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Signum - Die verratenen Adler

Signum - Die verratenen Adler

Titel: Signum - Die verratenen Adler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roemling
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Gefahr, dass die Geschichte im Dorf die Runde machte.
    Noch bedrückter wurde Fastrada, wenn sie an Caius dachte. Seine Abwesenheit tat körperlich weh, und die Gewissheit, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde, zog eine Furche der Verzweiflung durch die wenigen klaren Gedanken, die sie fassen konnte. Warum war er nicht zum Treffpunkt gekommen? War er selbst überfallen worden? Lag er womöglich irgendwo dort im Wald? Fastrada weinte lautlos, und erst als sich trübes Tageslicht durch die Ritzen im Strohdach tastete, fiel sie in einen unruhigen Dämmerschlaf. Als sie erwachte, war es schon fast Mittag.
    Im Dorf herrschte in diesen Tagen ein rastloses Kommen und Gehen, doch Fastrada täuschte Unwohlsein vor und verließ kaum das Haus. Ab und zu hörte sie die heiseren Grüße der Eintreffenden und das sich entfernende Hufgetrappel der Aufbrechenden.
    Am dritten Tag stand plötzlich Irmin in der Tür. Er trug einen Lederpanzer und sein Schwert an der Seite, war unrasiert und sah übernächtigt aus. Seine Haare hatte er schon länger nicht mehr geschnitten und den Siegelring von Tiberius hatte er abgelegt. Er setzte sich neben sie und strich ihr über die Wange. Sie wollte instinktiv zurückzucken, beherrschte sich aber. »Dir geht’s nicht gut, wie ich höre«, sagte er.
    Â»Na ja. Schon etwas besser.«
    Â»Ich nehme an, das sind Dinge, von denen nur Frauen etwas verstehen?«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    Â»Ich wollte mich verabschieden«, sagte er. Morgen früh reiten wir los.« Eine Spur von Unbehagen schwang in seiner Stimme mit. »Ich weiß, was du davon hältst«, fuhr er fort. »Aber wir können nicht mehr zurück.«
    Â»Ihr wollt nicht mehr zurück«, sagte sie kalt.
    Er dachte eine Weile nach. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht verstehst du das eines Tages.«
    Fastrada spürte die Wut in sich aufsteigen. »Das ist doch alles nur hohles Gerede!«, rief sie. »Ich werde das nicht verstehen, jetzt nicht und später auch nicht. Überhaupt, später!« Sie lachte bitter. »Was soll denn das heißen, später? Wenn ihr euch alle gegenseitig umgebracht habt?«
    Er schwieg. Langsam schien er zu begreifen, dass alles, was er sagen würde, den Graben zwischen ihnen nur weiter aufreißen würde. Er holte tief Luft, stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Frauen und Kinder lassen wir laufen«, sagte er, als sei das ein an sie persönlich gemachtes Zugeständnis, ein letztes Angebot, mit dem er sich ihr Verständnis erkaufen wollte.
    Â»Dann bedanke ich mich im Namen der Frauen und Kinder«, entgegnete sie bissig. Er verließ wortlos den Raum.
    Fastrada blieb trübsinnig auf ihrer Schlafstelle sitzen, abgestumpft gegen die Verzweiflung, die sich wie ein Bleiklumpen in ihrem Kopf eingenistet hatte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und ging nach draußen, wo eineschwere Wolkendecke am Himmel hing. Es war kühler geworden. Feiner Nieselregen fiel herab. Trotz des unangenehmen Wetters beschloss Fastrada, einen Spaziergang zu machen. Es tat gut, die kühle Luft einzuatmen. Während sie lief, kam ihr die Idee, sich ein Pferd aus dem Stall zu holen und den Weg einzuschlagen, den die Römer genommen haben mussten. Konnte sie Caius noch warnen? Aber wie sollte sie ihn in dem riesigen Heerwurm finden, der sich ins Verderben wälzte? Wie könnte sie überhaupt den Zug erreichen, ohne aufgegriffen zu werden? Die Wälder wimmelten wahrscheinlich schon von Irmins Leuten. Und selbst wenn es ihr gelang, sich durchzuschlagen – würde Caius sich mit ihr absetzen?
    Niedergeschlagen kehrte sie gegen Abend ins Dorf zurück. Niemand war zu sehen. Vor Irmins Haus grasten zwei Dutzend Pferde, und von innen drang das Gelärme der Männer, die sich am Abend vor ihrem Aufbruch offenbar noch einmal richtig betrinken wollten.
    Im Haus ihres Cousins war wie bei den meisten der größeren Wohngebäude eine Flechtwerkwand eingezogen, die den Stallbereich vom Wohnraum abtrennte. Fastrada umrundete das Gebäude und schlüpfte, von bohrender Neugier und einer plötzlichen Eingebung getrieben, durch den niedrigen Eingang in den Stall. Sie kniete sich vor die Wand. Hinter ihr raschelten ein paar Rinder im Stroh. Sie spähte durch eine Ritze im Geflecht in den Wohnraum, in dem an die dreißig Männer an langen Tischen

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