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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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bevor man die Wahrheit dort wieder vergraben konnte.
    Die erste Offenbarung war der Verfasser gewesen. Was sie in der verborgenen Gruft entdeckt hatten, war nicht weniger als das
Zeugnis des Menachem ben Ja’ir
, Enkel von Judas Iskariot und Gründer der Sikarier-Zeloten. Menachem ben Ja’ir war der Enkel des wahren Messias.
    Die zweite Offenbarung war der Text selbst. Die Wahrheit zu erfahren, war nicht leicht gewesen. In den Worten steckten verschiedene Ebenen der Wahrheit, allen voran die eigentliche Blutlinie: Menachem, Sohn von Ja’ir, Ja’ir, Sohn von Judas und Maria, eben der Maria Magdalena, die die Kirche der Lügen als Hure dargestellt hatte. Die Wahrheit hatte sich im Garten von Gethsemani ereignet, wo Jesus Christus Judas Iskariot angefleht hatte, stark zu bleiben und ihn den Römern auszuliefern – wohl wissend, dass Judas an diesem Opfer zerbrechen würde. Wie konnte man von einem guten Freund nur verlangen, in den sicheren Tod geschickt zu werden? Jesus immer noch treu ergeben, hatte Judas ihm den letzten Kuss gegeben, in dem Wissen, dass er sich selbst durch diese Tat verdammte; in dem Wissen, dass er mit dieser Schuld nicht würde leben können.
    Judas hatte seinen eigenen Sohn nie zu Gesicht bekommen. Doch anstatt der Vater eines einzigen Sohnes zu sein, war er zum Vater vieler Söhne geworden. Mit diesem Akt der Liebe hatte er nicht nur Erlösung gefunden, er war der Messias geworden, der wahre Messias der judäischen Tradition. Er war der Mann, dessen Opfer seinem Volk die Rettung gebracht hatte, er hatte sie wiedervereint und ihnen Frieden gebracht. Hier war nirgendwo die Rede von Jesus Christus, dem christlichen Messias, der der Sohn Gottes auf Erden im Körper eines Sterblichen war. Die Wahrheit unterschied sich deutlich von der kirchlichen Version der Geschichte.
    Diese Wahrheit hatte Menachem gepflegt und in Ehren gehalten, seit er Ja’ir versprochen hatte, die Geschichte seines Großvaters niemals zu vergessen, und dass er dafür Sorge tragen würde, dass auch die Welt sie nie vergaß. Aus diesem Versprechen hatte er die Sikarier geschmiedet, die Männer des Dolches, benannt nach der Opfertat seines Großvaters.
    Das dritte Geheimnis war das vom Schmieden des Dolches gewesen, woraus er hergestellt war und für welche Wahrheit er stand. Die Klinge war von Eleasar und Menachem in der Rüstkammer von Masada geschaffen worden, aus den Silberschekeln, mit denen Judas Iskariot bezahlt worden war, aus den Münzen, die das Opfer erkauft hatten – und es war kein Verrat gewesen, sondern ein Opfer –, auf dem sich nun eine ganze Religion begründete.
    Trotz seines Alters war der Dolch, den Eleasar ben Ja’ir geschmiedet hatte, ein Stück erlesener Handwerkskunst. Es war kaum vorstellbar, dass dieses Silber in der Hand des wahren Messias gelegen hatte.
    Wieder wanderten seine Finger zu dem Dolch an seiner Seite, sie strichen langsam über die Klinge.
    Er wünschte sich, seine Geschichte mit den Fingern lesen zu können.
    Er wünschte sich, alles begreifen zu können.
    Akim Caspi war er in Genf zum ersten Mal begegnet. Er war jung und beeinflussbar gewesen, reif, um für eine idealistische Idee begeistert zu werden. Er hatte sich stark von Caspi angezogen gefühlt. Die Unterhaltungen mit dem Mann waren zwar oft rätselhaft, aber immer höchst inspirierend gewesen. Er hatte ihm von den Lügen des Matthäus erzählt, der in seinem Evangelium versuchte, die Wahrheit über Judas Iskariot so zu verdrehen, dass sie zu einer Prophezeiung aus dem Alten Testament passte. Er hatte ihm gezeigt, dass es in der Bibel widersprüchliche Versionen der Geschichte von Judas‘ Tod gab. In der Apostelgeschichte des Lukas war die Rede davon, dass er mit dem Kopf voran in Akeldama, auf dem Feld des Blutes, gestürzt war und entzweigebrochen war. Bei Matthäus hatte Judas sich an einem Baum erhängt – und damit als Selbstmörder seine unsterbliche Seele aus dem Himmelreich verbannt. Er hatte Akim Caspi aufmerksam zugehört, als dieser leidenschaftlich darüber gesprochen hatte, wie die Worte von Matthäus die Wahrheit zu untergraben versuchten. Es handelte sich um eine Umdeutung der Realität, und es war nur eine von vielen weiteren Lügen, auf die die katholische Kirche sich begründete. Warum sollte man Maria Magdalena sonst als Hure darstellen, wenn man ihr nicht die Bedeutung absprechen wollte, die sie für den wahren Messias gehabt hatte? Warum sonst sollte Judas, der treueste und am innigsten geliebte

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