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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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Visiten hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Er war zum Umfallen müde. Aber sie ließen ihn nie zum Schlafen kommen. Nicht richtig. Er schaffte nur hin und wieder ein kleines Nickerchen. Daraus schloss er, dass er ständig gefilmt und beobachtet wurde. Sobald er im Begriff war einzudösen, betrat einer von ihnen den Raum, pünktlich wie ein Uhrwerk.
    Sie kamen immer wieder, um ihn weiterzubearbeiten. Die Frau auf ihre sanfte Art, der Mann mit seiner Holzhammermethode. Konstantin versuchte jedes Mal, sie davon zu überzeugen, dass sie ihre Zeit verschwendeten, weil der wahre Assassine immer noch frei herumlief, und weil er immer noch seine Position im engsten Kreis der päpstlichen Garde innehatte – aber sie weigerten sich standhaft, seinen Worten Glauben zu schenken.
    Konstantin wusste immer noch nicht, wie sie hießen. Für ihn waren sie nur ‚die Frau‘ und ‚der Mann‘. Damit blieb das Verhältnis zwischen ihnen unpersönlich; das hielt ihn davon ab, von ihnen als seine Freunde zu denken. Wenn er die Befragung durchgeführt hätte, hätte er sofort eine persönliche Ebene eingebaut. Manchmal verstand er die Logik dieser Leute nicht. Wenn sie sein Vertrauen gewinnen wollten, dann müssten sie ihn doch eigentlich mit allen erdenklichen Tricks davon überzeugen wollen, dass es eine Verbundenheit zwischen ihnen gab. Sie konnten keinen Folterknecht rufen, was blieb ihnen also anderes übrig?
    Als sie diesmal zu ihm kamen, waren sie nicht allein.
    Sie hatten sechs weitere Männer dabei. Konstantin sah zu, wie sie in der Zelle Aufstellung nahmen. Es kam ihm so vor, als ob die geflieste Wand plötzlich zu einer Mauer aus Muskeln geworden wäre. Die Männer sprachen nicht. Sie reagierten nicht auf sein Kopfnicken. Er schien für sie bloß Luft zu sein. Das gefiel Konstantin.
    „Stehen Sie auf“, sagte der Mann.
    Er bewegte sich nicht.
    „Ich sagte, stehen Sie auf.“
    Konstantin legte seine Hände flach auf den Tisch und schob den Stuhl zurück, dabei ließ er dessen Metallbeine hörbar über den Fußboden scharren. Langsam erhob er sich.
    „Was ist los?“, fragte er die Frau.
    Sie antwortete ihm nicht. Sie sah den Mann an.
    „Sie werden verlegt.“
    Konstantin blickte wieder die Frau an. „Wie viele Tage sind vergangen?“
    Diesmal antwortete sie ihm. „Acht.“
    Er war acht Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Acht Tage. In dieser Zeit hätte alles Mögliche passiert sein können. Es konnte sein, dass Akim Caspi tot war. Es konnte sein, dass Mabus tot war. Es konnte aber auch sein, dass ein gutes Drittel der Weltbevölkerung tot war. Er hätte nichts davon mitbekommen. Er wusste nur, dass morgen das Konklave begann.
    Der morgige Tag war der perfekte Zeitpunkt für den nächsten Schlag der Sikarier. Die Welt hatte bis dahin neun Tage lang um Papst Petrus II. getrauert, ebenso um die Opfer von Berlin und Rom, und jeder weitere Tag hatte sie weiter von diesen Tragödien fortgebracht. Neun Tage waren lang genug, damit sich die Benommenheit nach dem Schock wieder legen konnte. Neun Tage waren genug Zeit, um die Welt glauben zu lassen, dass der abschließende Angriff ausbleiben würde. Neun Tage waren genug, um sie alle wie Idioten dastehen zu lassen.
    „Wo bringen Sie mich hin?“
    „Nach Russland, Italien, oder vielleicht London? Spielt das eine Rolle? Von innen sehen alle Gefängnisse gleich aus“, sagte der Mann.
    „Ich würde es gern wissen.“
    „Nach Berlin“, sagte der Mann. „Der lustige Teil dieser Veranstaltung ist damit beendet. Sie werden sich für Ihre Taten verantworten müssen, und dann lassen wir sie im tiefsten Loch verschwinden. Und wenn die Welt sie vergessen hat, werden wir jemandem etwas zuflüstern, der für einen Unfall sorgt, oder der Sie auf dem Gefängnishof erledigt. Wie das passiert, ist gleichgültig. Aber es lässt sich bestimmt jemand finden, der bereit ist, Sie umzulegen – vielleicht ja sogar ein ehemaliger Landsmann von Ihnen! Oder vielleicht jemand, der nicht so erleuchtet ist, dass er auch die andere Wange hinhält? Das ist mir völlig egal. Die Gerechtigkeit wird triumphieren, die Öffentlichkeit bekommt ihre Genugtuung, und alle sind glücklich.“
    „Außer mir“, sagte Konstantin, als sie um den Tisch herumkamen und seine Arme packten. Zwei der Männer drehten sie ihm auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Dann legten sie ihm auch Fußschellen an und verbanden beides mit einer Kette, so dass er kaum einen Fuß vor den anderen setzen

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