Silber
Sie in Ihre Gemächer zurück, Monsignore. Lassen Sie den Willen Gottes geschehen. Ich werde nach Ihnen sehen, wenn mein Dienst zu Ende ist. Ich werde dafür sorgen, dass man sich um Sie kümmert. Ich verstehe Ihren Schmerz und Ihre Trauer, aber Sie müssen sich dem Willen unseres Herrn beugen, so wie wir alle.“
Abandonato sackte in sich zusammen.
„Gehen Sie mit Gott, Monsignore“, sagte der Assassine, und Abandonato konnte deutlich den Spott in seiner Stimme hören.
Er wollte laut schreien, aber er konnte sich nur abzuwenden. Er war kein Kämpfer. Er hatte keine Waffe, und selbst wenn er eine gehabt hätte, hätte er damit nichts anfangen können. Die bloße Vorstellung von Gewaltanwendung widersprach allem, woran er glaubte. Doch es war ihm nur noch wenig geblieben, woran er glauben konnte. Er wollte glauben, dass er versucht worden war, dem Pfad des Bösen zu folgen, so wie Eva im Garten Eden versucht worden war. Und er hatte seinen Weg gewählt, er hatte den Fuß darauf gesetzt. Es gab zwar auch hier eine Schlange, aber die Entscheidung hatte er selbst getroffen. Der Herr hatte ihm einen freien Willen gegeben, und er hatte ihn dazu verwendet, um Ihn zu verraten.
Abandonato wusste, dass er die Gardisten durch nichts dazu bewegen konnte, das Siegel zu brechen und die Kette von der Pforte zu lösen. Dies war seine Bestrafung. Er hatte den Tod in das Haus des Herrn gebracht, und der Tod ließ sich durch Gebete, Bettelei und Schuldbekenntnisse nicht besänftigen. Er war gierig, wie ein wildes Tier. Er würde erst zufrieden sein, wenn das Unausweichliche geschehen war. Mehr als einhundert Seelen würden vor ihrer Zeit auf die Herrlichkeit Gottes schauen.
Durch meine Schuld
, sagte er zu sich selbst.
Die beiden Gardisten, die seine Arme festhielten, eskortierten ihn bis zum Ende des Korridors und kreuzten dann ihre Hellebarden vor dem Durchgang, um ihm den Weg zu versperren.
Er sah sie nacheinander an. „Ihr müsst das Konklave unterbrechen“, flehte er sie an. „Man darf die Kardinäle nicht wählen lassen. Sie werden alle sterben.“ Er wusste, dass er sich wie ein Verrückter anhörte. Er war so verzweifelt, dass er nicht mehr klar denken konnte.
Die Soldaten blickten starr geradeaus. Es war fast so, als ob er schon zu einem Geist geworden wäre. Schließlich blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als sich zu entfernen. Es gab keinen anderen Weg in die Kapelle. Der Assassine hatte Recht gehabt, es war unmöglich, sie zu betreten. Wenn er an den Wächtern nicht vorbeikam, hatte er keine Chance, die Abstimmung zu verhindern. Und wenn er die Abstimmung nicht verhindern konnte, konnte er nichts dagegen unternehmen, dass das Feuer entzündet wurde.
Er war verdammt.
Er hatte die Lebenden im Stich gelassen.
Und er würde unweigerlich auch die Toten im Stich lassen.
In einem Namen konnte große Macht stecken. Und sein Name war ein wahrer Name. Gianni Abandonato – Gianni, der Verlassene.
Für ihn gab es keinen Platz an der Seite des Herrn. Nicht mit dem Blut all dieser Menschen an seinen Händen. Wie passend es doch war, dass er durch die silberne Zunge von Salomon und seine so genannte Wahrheit über Judas Iskariot gefallen war. Er lachte bitter. Der Laut verfolgte ihn durch die Gänge der Vatikanstadt.
Jetzt wusste er, wie Judas sich damals im Garten Gethsemani gefühlt haben musste. Er verstand, warum Judas nach dem Verlauf der Ereignisse nur noch einen einzigen Ausweg gesehen hatte.
Abandonato schleppte sich mit tief gesenktem Kopf durch die Korridore. Sein Herz war voll Trauer und Verzweiflung, die Hände hatte er zum Gebet gefaltet. Doch keines seiner Gebete erreichte seine Lippen. Er hatte den Entschluss gefasst, sich selbst zu richten – auch wenn er wusste, dass sein eigener Tod den Dämon, den er im Vatikan entfesselt hatte, nicht würde besänftigen können.
„Vater, vergib mir“, sagte er, obwohl er glaubte, dass nicht einmal Gottes unendliche Güte ausreichen würde, um ihm seine Verbrechen zu vergeben.
In diesem Moment rief jemand seinen Namen.
Abandonato blickte auf.
Noah traute seinen Augen kaum.
Er erkannte erst auf den zweiten Blick, dass es sich bei dem Mann, der durch den engen Korridor auf sie zugeschlurft kam, um Gianni Abandonato handelte. Er war aus einem der kleineren Nebengänge getreten. Er hatte den Kopf gesenkt und die Hände vor der Brust gefaltet, als ob er beten würde. Als Noah seinen Namen rief, ruckte sein Kopf nach oben, und er blieb wie angewurzelt stehen.
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