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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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sich langsam zu ihm um. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der junge Soldat gut genug ausgebildet war, um seinen Abzugsfinger stillzuhalten, wenn er die Möglichkeit sah, Noah an der Flucht zu hindern.
    Doch dann verblüffte der junge Gardist ihn, indem er in schrecklich gebrochenem Englisch rief: „Ich helfe dir, James Bond!“
    Es dauerte einen Augenblick, bis Noah begriffen hatte, was zum Teufel das heißen sollte, und dass er wohl doch nicht erschossen wurde. „Die Sixtinische Kapelle! Wie komme ich dort hin?“
    „Ich helfe dir, James Bond!“, wiederholte der junge Gardist. „Folge mir!“
    Noah blieb fast keine andere Wahl. Auf sich selbst gestellt hätte er bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag durch diesen Irrgarten laufen können, ohne sein Ziel zu erreichen.
    Abandonato schloss die Augen. Sein Gesicht war puterrot, seine Haare klebten an seinem Schädel. Er zitterte am ganzen Körper. Er ging unsicher und machte mit dem rechten Bein kürzere Schritte, weil er von Seitenstichen geplagt wurde. Er rang nach Luft.
    Der Gardist blickte zu ihm hinüber, als er sich näherte. Er war sicher, dass der Wächter ihn aufhalten würde, und dass er ihm irgendwie beweisen müsste, sich rechtmäßig hier aufhalten zu dürfen. Dieses Recht hatte er selbstverständlich, immerhin lag seine Wohnung diesseits der Mauern; er lebte und arbeitete hier. Insgesamt standen nur hundertundzehn Schweizergardisten im Dienst des Vatikans, entsprechend hatte er jeden von ihnen schon einmal gesehen. Andersherum kannten auch sie alle ihn vom Sehen. Wenn sie nach ihm suchten, würde er das jetzt herausfinden. Doch sie hielten ihn nicht auf. Der Wächter nickte Abandonato nur kurz zu und trat dann zurück, um ihn durchzulassen. Es war geradezu lächerlich, wie einfach sie ihn passieren ließen. Selbst nach der Ermordung des Papstes brachten sie einem Mann im Priestergewand immer noch blindes Vertrauen entgegen. Dafür reichte seine Kleidung aus, ein Kostüm, und die Vertrautheit seines Gesichts. Er wollte den Mann anschreien. Dieser Mummenschanz machte ihn nicht zu einem guten Menschen! Auch wenn er wie ein gebürtiger Römer aussah, er war ein ebenso abscheulicher Terrorist wie ein Selbstmordbomber aus dem Nahen Osten. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er ein größerer Feigling war. Er trug seine „Bombe“ nicht am Körper, und sobald das Plastik in den Flammen zusammenschmolz, würde ein heimtückisches Giftgas freigesetzt werden.
    Er wankte, so schnell er konnte, auf die Sixtinische Kapelle zu.
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das Konklave unterbrechen sollte.
    So weit hatte er nicht gedacht.
    Die ausgeblichenen Farben der Wandmalereien in den Korridoren kamen Abandonato plötzlich viel kräftiger und lebendiger vor als sonst. Es war fast, als ob das Wissen, dass es zu Ende ging, seine Sinne schärfte und alles um ihn herum viel heller und klarer erscheinen ließ. Er sah die Werke von Michelangelos Schülern und von Berninis Gesellen, als ob er sie zum ersten Mal wirklich wahrnehmen würde. Jeder einzelne Pinselstrich war absolut exquisit geführt. Er wollte zwischen den Bildern umherwandeln und mit den Fingern über die Farben streichen, als ob er ihre Brillanz über die Haut absorbieren und in sich aufsaugen könnte. Doch das war die Stimme des Satans, die versuchte, ihn aufzuhalten, während sein böses Werk vollbracht wurde.
    Er verfluchte sich und lief weiter. Er folgte dem Pfad, den seine Füße so gut kannten, und betete, dass der Herrgott ihn noch nicht aufgegeben hatte.
Gib mir die Kraft
, dachte er, als er um die letzte Ecke bog.
    Er hatte es geschafft. Erleichterung durchströmte ihn in einer riesigen Welle, die ihn fast zu überwältigen drohte. Er stolperte in die Vorkammer. Er kannte nur einen einzigen Gedanken: Er musste in die Kapelle gelangen, bevor das Feuer angezündet wurde.
    Sechs Schweizergardisten standen an der Tür zur Kapelle von Papst Sixtus IV. Es waren dieselben sechs, die mit Petrus, dem Römer, in Deutschland auf der Bühne gestanden hatten; es war der innere Kreis, der aus den sechs treuesten Wächtern bestand. Fünf von ihnen blickten starr geradeaus. Der sechste von ihnen sah Abandonato an, und der Priester krümmte sich unter diesem Blick schmerzhaft zusammen. Einen Moment lang fürchtete er, dass er zusammenbrechen und der Länge nach auf dem Boden landen würde. Doch das geschah nicht. Der Zusammenbruch fand in seinem Inneren statt, als seine Hoffnung jäh in Verzweiflung

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