Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
Vom Netzwerk:
Jetzt bestand kein Zweifel mehr, dass es sich um den Priester handelte.
    „Abandonato!“ Seine Stimme schwoll an und füllte den ganzen Raum mit seinen handbemalten Wänden und Decken. Der Monsignore sah aus wie ein verschrecktes Kaninchen in der Falle, er wich einen Schritt zurück. Noah sah den Schweiß, die nervösen Zuckungen, den fast roboterhaften Gang – es waren die klassischen Anzeichen, die auf einen Selbstmordattentäter hindeuteten. Er hatte nur den Bruchteil einer Sekunde, um nachzudenken. Die gefalteten Hände des Priesters waren unter der Soutane verborgen. Vielleicht betete er nur, vielleicht hielt er aber auch einen Zünder darin versteckt. Noah hatte nicht den Luxus, sich einen Fehler erlauben zu können.
    Abandonatos Gewand war weit genug geschnitten, dass er darunter eine Sprengstoffweste hätte verstecken können. Eine wirkungsvolle Bombe musste nicht kompliziert aufgebaut sein. Wenn er es damit bis in die Kapelle schaffte, reichten schon ein paar alte Kugellager und Nägel, die in einen Stoffgürtel mit Dynamit genäht waren – damit konnte er alle Menschen in dem beachtlichen Radius der Explosion auf der Stelle töten. Darüber hinaus würden die Leichen keinen besonders schönen Anblick bieten. Noah konnte unmöglich sagen, ob der Priester mit einer Sprengladung verkabelt war oder nicht. Er schwankte beim Gehen. Er schien das linke Bein stärker zu belasten als das rechte. Das konnte bedeuten, dass er ein schweres Gewicht trug, das seine Bewegungsfreiheit einschränkte. Noah hatte den Bruchteil einer Sekunde, um all diese Beobachtungen auszuwerten.
    „Runter auf die Knie! Sofort!“, rief er. Als Abandonato sich nicht bückte, schrie er kein zweites Mal. Er konnte nicht riskieren, dem Märtyrer seinen eigenen Ausweg aus der Situation offenzulassen.
    Abandonato schien einen Augenblick lang mit sich selbst zu ringen, dann drehte er sich um und lief davon.
    Diese Verzweiflungstat verriet Noah alles, was er wissen musste.
    Er zog und schoss in einer einzigen, fließenden Bewegung.
    Neben ihm feuerte der junge Mann, der der beste Freund von James Bond sein wollte, noch drei Kugeln auf den Monsignore ab, während dieser zusammenbrach, strauchelte und fiel. Er schoss ein viertes Mal auf ihn, als sein Körper auf dem Boden aufschlug. Abandonato zuckte in schmerzhaften Krämpfen und blieb dann reglos liegen.
    Noah näherte sich vorsichtig der Leiche des Priesters, den Lauf seiner Pistole hielt er auf die Brust gerichtet. Schon bei der winzigsten Bewegung würde er einen weiteren Schuss abfeuern. Noah spürte das Adrenalin durch seinen Körper fluten. Wie immer kam der plötzliche Kick zu spät, als dass er noch etwas damit hätte anfangen können. Und doch fühlte sich der Rausch der Körperchemie in seinem Blut ausgesprochen gut an. Er hatte seine Mission erfüllt. Er hatte die Kardinäle gerettet. In diesem Moment wusste er, dass er sich mit dieser Heldentat brüsten würde. Nur dieses eine Mal. Nur um das Gesicht von Konstantin zu sehen, der bei seiner Mission nicht so viel Glück gehabt hatte. Er grinste, als er sich den Blick des Russen vorstellte, den ihm seine Witzeleien einbringen würden. Er hatte die ganze Strecke von Rom bis Nonesuch Zeit, um sich einen bombastischen Spruch für Konstantin einfallen zu lassen.
    Er stand über dem toten Abandonato und blickte auf ihn hinab. Der Priester war noch nicht ganz tot. Er hielt sich mit letzter Kraft am Leben fest. Noah kniete sich neben ihm nieder und zog seine Hände unter den Falten der Soutane hervor. Sie waren leer. Der Atem des heiligen Mannes verursachte merkwürdige Pfeifgeräusche, als er durch seine Zähne entwich.
    Abandonato versuchte, zu sprechen.
    „Keine letzte Beichte, Vater“, sagte Noah. „Dafür ist es zu spät. Ihre Seele wird ohne Umwege zur Hölle fahren.“
    „Bitte“, brachte Abandonato mühsam hervor. Es war kaum mehr als ein Flüstern. Noah kam mit dem Kopf näher, bis er den Atem des Sterbenden auf der Wange spüren konnte. Ein Wort schwebte darauf wie ein Geist. „Feuer.“
    „Stimmt genau, Kumpel. Da gehst du hin. Du wirst in den Feuern der Hölle schmoren.“
    Doch Abandonato hörte ihn nicht mehr.
    Er war tot.
    Noah fühlte an der Seite seines Halses nach dem Puls. Wenn kein göttliches Wunder geschah, würde Gianni Abandonato nicht wieder aufstehen.
    Noah schloss ihm nicht die Augen.
    Er klopfte mit den Händen die Kleidung des Toten ab. Er trug weder einen Sprengstoffgürtel noch eine ähnliche

Weitere Kostenlose Bücher