Silber
gelangweilt durch die Kanäle, als er über Henry Lincoln stolperte, der seine fabelhafte Geschichte über Rennes-le-Château und Pfarrer Bérenger Saunière erzählte. Ich war wie gebannt und dachte immerzu: Das würde einen großartigen Roman abgeben! Aber ich wusste auch, dass ich weit davon entfernt war, so etwas zu bewerkstelligen, und legte die Idee ab – in der Absicht, irgendwann zu ihr zurückzukehren.
Und wann war es dann so weit?
Lassen wir nun einen guten Teil der nächsten zehn Jahre verstreichen … verlassen wir die Studentenbutze und stellen wir uns einen heißen Strand in Ägypten vor … und mich, wie ich, tropfend vor Schweiß, die letzten Seiten von Dan Browns »Illuminati« lese. Und wie ich, anstatt das Buch nach der letzten Szene zuzuklappen, durch die Anzeigenseiten hinten blättere und die Ankündigung seines neuen Romans »Sakrileg« erblicke, der, obwohl er bei Weitem nicht die gleiche Geschichte erzählt wie die, die ich nun seit gut zehn Jahren mit mir herumgetragen habe (mein Roman in spe spielte zur Zeit der Kreuzzüge und ging um einen Trupp Tempelritter, die eine Mutter und ihr Kind, beide Nachfahren Jesu Christi, aus dem Heiligen Land schmuggeln müssen), meinem geplanten Buchprojekt den Todesstoß versetze.
Meine Frau sagte mir später, dass ich das Taschenbuch tatsächlich ins Meer geschmissen habe.
Ich gebe zu, dass ich wahnsinnig frustriert war. Nicht zuletzt, weil »Sakrileg« zum damaligen Zeitpunkt schon ein paar Jahre draußen und es mir bis zu jenem Zeitpunkt gelungen war, nichts Näheres zu seinem Inhalt und der Handlung zu erfahren.
Offenbar bin ich gut darin, Spoiler zu umgehen.
So. Spulen wir etwas vor, nach London und zum Jahreswechsel 2005/2006 … Ich war auf der Suche nach Recherchematerial für einen Thriller über die Antarktis als Stätte der verlorenen Zivilisation von Atlantis … als mir in der Waterstone‘s-Buchhandlung in der Oxford Street Hunderte Exemplare von Stel Pavlous »Code Zero« ins Auge stachen. Ein kurzer Blick aufs Backcover, und mein Herz rutschte mir in die Hose. Schon wieder wurde eine fantastische Idee dadurch abgeschossen, dass ich zu spät zur Party kam. Ich denke, das ist der Albtraum eines jeden Autors. Wir könnten uns sprichwörtlich vom Schreiben abhalten, wenn wir uns jede Idee verwehren würden, die schon einmal verwendet wurde. Wie auch immer. Auf dem Regal neben »Code Zero« stand das auffällige Hardcover von »Das verschollene Evangelium«. Ich habe beide Bücher gekauft und letzteres ausgelesen gehabt, bevor ich an diesem Tag ins Bett bin.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren die Anfänge von »Silber« da.
Diesmal musstest du also nur noch schnell sein?
Ich sprach mit niemandem darüber, beschloss aber, etwas Recherche zu betreiben. Wie die meisten war ich flüchtig in Sachen Evangelien bewandert, und dank der Angst vor dem Millennium, die die Welt 1999 fest im Griff hatte, war ich auch mit vielen Weltuntergangsprophezeiungen vertraut.
Nachdem ich entschieden hatte, dass ich etwas mit Judas’ Geschichte machen wollte, erinnerte ich mich an die Silberlinge. Von »einer Bürde, die er nicht von allein loswerden konnte« war es nur ein kleiner Schritt hin zu einem verfluchten Erbe, das seine Kinder ebenfalls nicht loswurden. Aber ich greife mir selbst voraus. Einen meiner ersten Recherche-Tage verbrachte ich damit, den Namen Iskariot und seine verschiedenen Herkünfte nachzuschlagen. Es war einer jener Augenblicke, in denen einem als Autor aufgeht, dass man nicht nur an einer stimmigen Geschichte sitzt, sondern über etwas »Wahrhaftiges« gestolpert ist …
Was hat dich so an der Interpretationsfreudigkeit von Judas’ Geschichte fasziniert?
Die geläufigste Erklärung leitet sich aus dem Hebräischen ab, wo Judas’ Name so viel wie »Mann aus Keriot« bedeutet, wobei Keriot der Name von gleich zwei Städten in Judäa ist. Die zweite Theorie – die, auf die ich mich in »Silber« stütze – besagt, dass Iskariot Judas als Nachfahren der Linie der Sikarier kennzeichnet, die nahezu sicher die ersten Terroristen der Welt gewesen sind. Historisch ist zwar nicht belegt, dass die Sikarier vor dem 5. oder 6. Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts in Erscheinung getreten wären, aber das ist einer jeder Punkte, an denen Fiktion und Realität so wunderbar ineinander fließen.
Es gibt nicht viele verlässliche Dokumente aus dieser Zeit. Doch vieles von dem wir glauben, dass es der Wahrheit entspricht, stammt von
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