Silber
die Kurve, die an den Gebäuden der Universität vorbei zu den reicheren Vororten Jesmond und Gosforth führte.
Lethe hatte ihm die Namen und die Adressen der Selbstmörder gegeben. Drei von ihnen hatten im Tyne Valley gelebt, deshalb war es nur logisch, dort den Anfang zu machen. Catherine Meadows, die Märtyrerin vom Trafalgar Square, hatte in der Queens Road in West Jesmond gewohnt, Sebastian Fisher, das Opfer von Barcelona, gleich um die Ecke in der Acorn Road. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr langsam an Catherine Meadows Wohnhaus vorbei. Es war ein großes, weißes Eckhaus, das früher bestimmt ein Altenheim oder etwas Ähnliches gewesen war, bevor man es in ein Luxusapartmenthaus verwandelt hatte.
Der Luxus erstreckte sich allerdings nicht bis zu den Feuertreppen, die aussahen, als ob sie nur noch von Schmutz und Rost zusammengehalten würden. Die Straße war zugeparkt mit Autos, aber es gab einen kleinen Privatparkplatz neben dem Gebäude. Drei identische schwarze Limousinen standen dort in einer Reihe nebeneinander. Sie trugen Regierungskennzeichen, doch Ronan hätte auch ohne sie gewusst, was die drei Wagen zu bedeuten hatten. Der MI5 war schon hier. Die Bürokratie war momentan noch sein stärkster Verbündeter.
Die Geheimdienstabteilungen Fünf und Sechs waren merkwürdige Biester; sie stellten die beiden Seiten von ein und derselben Spionage-Münze dar. Und nach Ronans Erfahrung mit der rechten und der linken Hand des Geheimdienstes würde es noch eine gewisse Zeit dauern, bis die Zahnräder der Bürokratie knirschend in Bewegung gerieten, um ihre erzwungene Zusammenarbeit zu bestätigen. Also verfolgten sie, zumindest im Moment noch, gegensätzliche Interessen. In ein oder zwei Stunden wären alle Punkte verbunden, und die beiden würden in dasselbe Horn blasen. Das verschaffte ihm bestenfalls einen Vorsprung von einer Stunde.
Ronan drosselte das Monster erst, dann ließ er den Motor aufheulen und raste dröhnend die Einbahnstraße hinunter. Er fuhr zwischen einer Reihe von Betonpfeilern hindurch, die die Autos davon abhielten, in eine ruhige Fußgängerzone zu fahren, dann bog er zweimal links ab und fuhr in dieselbe Richtung zurück, aus der er gekommen war. Die Acorn Road lag auf der anderen Seite der Hauptstraße. Sie war eine Kuriosität des englischen Wohnungsbaus und übersät mit kleinen Ladengeschäften – alles war vertreten, die üblichen Büros der Immobilienmakler, Schnapsläden, zwei auf italienisch getrimmte Restaurants, ein Inder, der obligatorische Friseursalon, ein Lebensmittelgeschäft, direkt daneben der klägliche Versuch einer Kunstgalerie, ein teures Antiquitätengeschäft mit Marmorskulpturen hinter den getönten Schaufenstern, und ein halbes Dutzend schicker Modeboutiquen, die Designerware aus aller Welt anboten. Es gab einen Pub an der Ecke, „The Three Turtles“, und dahinter den Eingang zur örtlichen U-Bahnstation.
Sebastian Fishers Wohnung lag über einem der Maklerbüros, dessen Werbetafel ein schreitendes schwarzes Ross vor einem Hintergrund in britischem Renngrün zeigte. Das Gebäude sah genauso aus wie die unzähligen anderen, an denen der Ire in der letzten Stunde vorbeigefahren war. Diese Häuser nannten sich „Tyneside Flats“, es war ein Entwurf für den sozialen Wohnungsbau aus den zwanziger Jahren. Und wie man beim Ford Modell T jede Farbe haben konnte, solange sie schwarz war, hatten auch die Tyneside Flats ein standardisiertes Design. Das bedeutete für Ronan, dass er den genauen Schnitt von Fishers Wohnung kannte, ohne sie betreten zu müssen.
Ronan fuhr neben der weißen Tür in der weißen Fassade an den Straßenrand und hängte seinen Helm an den Lenker. Er kettete das Monster nicht an.
Er nahm sich einen Moment lang Zeit, um die Umgebung zu betrachten. Er hatte noch eine Stunde, bevor die Immobilienmakler ihr Büro öffnen würden; das gab ihm etwa dreißig Minuten, bis jemand im Büro war, der seine Schritte oben hören konnte. Die Bäckerei auf der anderen Straßenseite war geöffnet, der Geruch von frischen Backwaren ließ seinen Magen knurren. Über die blechern klingenden Lautsprecher des Ladens lief „Handbags and Gladrags“. Ronan kaufte sich ein warmes Croissant, das dick mit Butter bestrichen war, tauschte ein Lächeln mit der jungen Verkäuferin hinter dem Tresen aus und ging dann kauend in die Gasse hinter Fishers Haus.
Ein schwarzer Labrador pinkelte an eine grüne Mülltonne. Der Hund bestand nur aus Haut und Knochen, und
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