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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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sich ohne Zweifel vor eine Kugel werfen, die für Orla bestimmt war. Doch Noah Larkin war auf seine Weise genauso versehrt wie sie. Es war ebenso gut möglich, dass sie zusammen in einer dunklen Gasse landeten und erschossen wurden, wie er ihr auch das Leben retten konnte.
    Also hatte er ganz bewusst Konstantins Qualifikationen für die Mission in Berlin hervorgehoben: Seine Vertrautheit mit der Stadt, mit der Denkweise der Menschen dort, und seine vielfältigen Kontakte, sowohl aus der Zeit vor wie auch nach dem Fall der Mauer. All das traf auch für Orla und Israel zu, dessen hatte er sich mehrfach vergewissert. Der einzige Unterschied war das Verhältnis der beiden zu diesen Orten. Konstantin verband mit Berlin das Gefühl von Freiheit, für Orla war Israel gleichbedeutend mit Folter. Deshalb hatte er befürchtet, dass sie sich kleinlaut zurückhalten und Frost den Auftrag in Israel überlassen würde. Er konnte sich kaum vorstellen, welcher Konflikt in ihr getobt haben musste, als sie zugehört hatte, wie er ihr Land an jemand anderen vergab. Ein Krieg der Emotionen: Schuld, Erleichterung, Zorn.
    Es war so eine Erleichterung gewesen, das Feuer wieder in ihren Augen zu sehen. Er hatte es regelrecht genossen, als sie ihm seine Starrköpfigkeit vorgehalten hatte, obwohl es im ersten Moment bedeutete, vor den anderen an Ansehen zu verlieren. Frost war schon lange genug dabei, um Sir Charles’ Spiel zu durchschauen, und Lethe war viel zu beeindruckt von der Welt der Spionage, um seine Rolle darin zu riskieren. Noah war Noah – unberechenbar und schwer zu lesen. Nur Konstantin war anders. Er stammte aus einer Kultur, in der Macht respektiert wurde, selbst wenn diese Macht vollkommen korrumpiert war. Und doch war er nicht grundlos geflohen. Deshalb würde sogar der Russe etwas daran finden können, dass der Alte sich von ihren Argumenten hatte überreden lassen. Im Endeffekt hatte ihr Aufbegehren seine Position eher gefestigt als unterminiert.
    Er blickte auf die alte Standuhr, deren angelaufenes Bronzependel sich langsam hin- und her bewegte:
tick, tock, tick, tock
. Dieser Klang machte ihm klar, wie real und wertvoll die Zeit war. Er hörte, wie Maxwell sein Team nach draußen führte, er hörte, wie Noah eine wohl durchdachte kleine Feindseligkeit äußerte, dann das Zuschlagen von Autotüren und kurz darauf das Geräusch von Reifen, die Kies spuckten, als sich der Daimler in Richtung Flughafen in Bewegung setzte. Sie würden in zwanzig Minuten in der Luft sein, und schon auf halbem Weg nach Berlin, noch bevor die Sonne ganz aufgegangen war.
    Wie viele Stunden blieben ihnen noch bis zum ersten Anschlag? Er war sich im Klaren darüber, dass er alle Informationen, die er hatte, an den MI6 hätte weitergeben müssen. Es war dumm, das nicht zu tun. Aber es war vier Uhr morgens. Die Geheimdienstler konnten nichts ausrichten, was seine Leute nicht auch geschafft hätten. Im Gegenteil, ohne die Einschränkungen der Protokolle und der Befehlshierarchie gab es einiges, was das Team der Schmiede vollbringen konnte, was für die Agenten des MI6 von Rechts wegen ausgeschlossen war.
    Er war müde. Bis zum Sonnenaufgang dauerte es noch ein paar Stunden, und wie er den anderen schon gesagt hatte, waren diese paar Stunden vielleicht die letzte Chance auf Schlaf, die sie in absehbarer Zukunft hatten.
    Sich zu entkleiden war lange Zeit selbstverständlich für ihn gewesen, jetzt stellte es eine körperliche Herausforderung dar. Er keuchte und stöhnte, als er sich aus dem Rollstuhl stemmte und auf die harte Matratze hievte. Nichts daran war anmutig. Beim Versuch, unter die Decke zu kriechen, streckte und wand er sich wie ein gestrandeter Wal. Feine Schweißtropfen bedeckten seine Haut. Dann lag er still und starrte an die Decke. Der Schlaf wollte nicht kommen.
    Dafür kam die Sonne.

6
DER ERSTE SCHNITT
    Ronan Frost schaffte die Strecke nach Newcastle in weniger als vier Stunden. Er landete im Berufsverkehr, als dieser gerade in seiner vollen, luftverpestenden Blüte erstrahlte. Seine Ducati Monster unterlag nicht denselben Regeln der Fortbewegung wie die Busse voller Pendler und die alten rostigen Autos: Ronan beschleunigte auf dem Mittelstreifen und schlängelte sich einfach zwischen den eingekeilten Fords und Volvos hindurch. Er passierte den Stadtrand, fuhr durch Gateshead, dann über die Tyne Bridge und durch die frisch renovierte Quay Side. Anschließend raste er durch den Kreisverkehr bei Swallow House und legte sich tief in

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