Silber
schützte. „Das sieht nicht nach einer Witwenrente aus“, gab er zu. „Zumindest nicht für eine israelische Witwe. Ich kann Ihnen sagen, dass ich keine ruhige Minute mehr in der Gesellschaft meiner Frau verbringen könnte, wenn ihr nach meinem Ableben ein solches Vermögen zustehen würde.“
Orla wusste, was er damit sagen wollte. Auf Akim Caspis Konto lag genug Geld, um damit einen kleinen Krieg führen zu können, und genau das bereitete ihr Sorgen. Die Ereignisse der letzten Tage fühlten sich nicht mehr wie zufällig ausgeführte Gewaltakte an, sondern wie der Auftakt zu einem Krieg. Unter den momentanen Umständen ergab es noch weniger Sinn, dass Sir Charles sich dazu entschlossen hatte, ihren Krieg daraus zu machen.
Jemand hatte Zugang zu dem Konto und benutzte es regelmäßig. Und wenn der echte Akim Caspi so tot war, wie sein Grabstein sie glauben machen wollte, war es eine sichere Sache, dass der andere Akim Caspi der Mann war, der das ganze Geld ausgab.
Eine Nebelkrähe ließ sich auf dem Kreuz neben Caspis Grabstein nieder. Orla beschloss, das nicht als ein schlechtes Omen zu betrachten.
„Darf ich Sie etwas fragen, Uzzi?“
„Bitte.“
„Erwarten Sie wirklich von mir zu glauben, dass die Israelischen Streitkräfte einen Offizier des Geheimdienstes auf einen Botengang wie diesen schicken würden, wenn sie nicht schon wüssten, was es mit der Rente des toten Generals auf sich hat?“
„Generalleutnant“, korrigierte Sokol sie automatisch.
„Das ändert nichts an der Frage.“
„Im Widerspruch zu dem bekannten Songtext geht es nicht immer nur ums Geld“, sagte Sokol.
„Dazu hätte ich liebend gern eine nähere Erläuterung. Sie wissen, wer dieser Mann ist, nicht wahr?“
Anstelle einer Antwort erwiderte Uzzi Sokol: „Ich weiß viele Dinge. Aber sagen Sie mir zuerst, ob Sie schon einmal von den Dreizehn Schreien gehört haben.“ Er beobachtete sie aufmerksam und suchte nach Anzeichen des Erkennens in ihrer Mimik.
Orla schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Dann müssen Sie erfahren, was es mit den Schreien auf sich hat.“ Sokol kratzte sich im Nacken, als ob ihn dort gerade etwas gestochen hätte. Was es auch gewesen war, es schien seinen Gedankengang unterbrochen zu haben.
Sie blickte ihn in der Erwartung an, dass er fortfahren würde, doch Sokol war augenscheinlich nicht länger redefreudig.
„Erzählen Sie mir doch etwas über diese dreizehn Schreie“, bat Orla, die seine Gedanken wieder zu dem Leckerbissen führen wollte, den er so verlockend vor ihrer Nase hatte baumeln lassen. Er blickte sie an.
Über ihnen füllte sich der Himmel mit einem Schwarm Zugvögel, der auf dem Weg aus den kalten europäischen Gefilden in die Wärme des nordafrikanischen Winters war.
„Nicht hier“, sagte er mit einem Blick über die Schulter, als ob nun er Angst hätte, von den Geistern der Toten belauscht zu werden. Orla folgte der Richtung seines Blicks. Ein altes jüdisches Mütterchen legte Blumen auf das Soldatengrab ihres Sohnes. „Und holen Sie die Waffe aus ihrem Koffer. Da drinnen nützt Sie niemandem etwas.“
13
KEIN TRINKWASSER
Er sah der Frau beim Trinken zu.
Botticelli hätte ihre Figur zweifelsohne als exquisit bezeichnet. Als sie sich vornüberbeugte, floss ihr das rabenschwarze Haar über die Schultern. Ihre Brüste schoben sich weiß über den roten Spitzenrand ihres Büstenhalters. Er genoss den Ausblick. Frauen mit einer volleren Figur hatten es ihm schon immer angetan. Etwas an der zusätzlichen Masse versprach Exzess, weil es so viel Körper gab, in dem man sich verlieren konnte. Die Frau trug eine dünne Baumwollbluse, die vom Schweiß durchsichtig geworden war und an den Rundungen ihres Körpers haftete. Er war entzückt von ihrer Natürlichkeit. Leider gab es auf der Welt immer weniger Männer wie ihn; das Schönheitsideal hatte sich in eine andere Richtung entwickelt. Die Schönheit war heutzutage viel weniger gehaltvoll; anorektisch statt üppig. Die Kurven wurden weggemeißelt, um den weiblichen Körper asexuell und knabenhaft zu formen. Was den alten italienischen Meistern als schön gegolten hatte, war in der neuen Welt geradezu als fettleibig verschrien. Er verzweifelte an dieser Welt, die das Gefühl nicht mehr zu schätzen wusste, in der weichen Wärme zu versinken, die nur ein fülliger Körper zu bieten hatte.
Die Römer liebten ihr Wasser, sogar noch mehr als die Bewohner Venedigs. Es gab unzählige Brunnen, wie etwa die Pferde des Trevi-Brunnens,
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