Silberband 001 - Die Dritte Macht
Jonny. Dafür hingen zwei
andere, gleichgroße an ihrer Stelle. Das Signum war das von Aarn …«
»So große Bilder habe ich noch nicht gemalt«, warf Aarn ein.
»Eben!« nickte Ellert. »Damit haben wir bereits den ersten Beweis. Du wirst sie malen! Und mir
wirst du in naher Zukunft zwei schenken, jene nämlich, die ich gestern gesehen habe.«
»Er ist verrückt geworden«, flüsterte Lothar Frettel besorgt zu. »Vielleicht solltest du ihn
mal untersuchen.«
»Ich repariere Organe, aber keine Geisteskranken«, gab der Arzt trocken zurück. Ellert ließ
sich nicht stören.
»Zuerst begriff ich natürlich nicht. Ich besah mir die Bilder – sie sind übrigens
großartig, Aarn – und schritt weiter, um vor dem Kalender stehenzubleiben. Ihr wißt, ich
habe immer den großflächigen Notizkalender dort hängen. Darauf vermerke ich alle Verabredungen
und Termine. Heute steht darauf: Jonny, Aarn, Lothar, Frettel. Ich blickte auf den Kalender. Was,
glaubt ihr, sah ich?«
»Keine Ahnung«, murmelte Lothar. »Rede schon!«
»Das Datum! Es war der 17. November 1973.«
Jonny begann zu lachen. Er angelte nach seiner Flasche, nahm einen kräftigen Schluck und
reichte sie weiter. Er lachte, bis Tränen aus seinen Augenwinkeln rannen.
Frettel lachte nicht.
»Ist das wahr?« fragte er. »Was war geschehen?«
»Sehr einfach: mein fast übermenschlicher Wunsch hatte mich in die Zukunft gebracht. Mehr als
zwei Jahre in die Zukunft. Aber – und nun kommt das Erstaunliche – nicht meinen Körper.
Zuerst glaubte ich, es sei so, aber dann bemerkte ich plötzlich, daß ein anderer Wille gegen
meinen ankämpfte. Es war mein eigener Wille, wie ich bald feststellen konnte. Nur mein Geist war
in die Zukunft gelangt und in den Körper des zwei Jahre älteren Ernst Ellert geschlüpft. Mit
seinen Augen sah und erlebte ich jene Zeit, die noch vor mir liegt. Ich nahm an seinen
Erinnerungen teil, aber es gelang mir nicht, ihm meinen Willen aufzuzwingen. Immerhin wußte ich,
daß an diesem Abend wieder die übliche Zusammenkunft stattfinden sollte, allerdings besagte der
Kalender, daß es sich um eine Ausnahme handelte. Ich selbst war diese Ausnahme. Ich erhielt
Urlaub – und so konnten wir unseren Abend abhalten.«
»Urlaub?« wunderte sich Jonny.
»Eine andere Geschichte«, lenkte Ellert ab. »Jedenfalls kann ich euch beruhigen: im Jahr 1973
leben wir noch alle. Es hat keinen Krieg gegeben, aber große Veränderungen werden
stattfinden …«
»Jetzt weiß ich, was mit ihm los ist«, unterbrach Lothar triumphierend. »Er ist unter die
Wahrsager gegangen.«
»Vielleicht bestehen da Zusammenhänge«, nickte Ellert ungerührt. »Aber ich sehe, ihr glaubt
mir die Geschichte nicht …«
»Natürlich nicht.« Frettel nickte und lächelte. »Aber sie ist sehr amüsant. Ich warte schon
die ganze Zeit auf die Pointe.«
»Pointe?«
»Natürlich! Wo ist der Gag?«
Ellert zündete sich eine Zigarette an. Sein Gesicht war ernst.
»Da gibt es keinen Gag und keine Pointe. Die Geschichte ist einfach wahr. Soll ich es euch
beweisen?«
»Das wäre nett von dir«, stimmte Lothar zu. Frettel und die anderen nickten. Sie sahen alle
sehr gespannt aus.
»Ich werde jetzt versuchen, unseren nächsten Ratschabend zu besuchen – mit anderen
Worten, ich werde euch gleich sagen, was heute in acht Tagen geschieht – oder besser, was in
der Zwischenzeit geschehen ist. Ich belausche das Gespräch in der Gestalt des um eine Woche
älteren Ellert und kehre zurück, um euch zu berichten. Im Lauf der kommenden Woche werdet ihr
alles erleben, was ich euch voraussage. Einverstanden?«
»Natürlich.« Frettel grinste. »Ich werde in der Zwischenzeit, wenn dein Geist in der Zukunft
weilt, deinen Körper untersuchen. Vielleicht kann ich einen Unterschied feststellen und so
ebenfalls einen Beweis erbringen.«
»Ich glaube kaum«, sagte Aarn bissig, »daß du einen Unterschied bemerken wirst.«
Ellert kümmerte sich nicht um die entstehende Diskussion. Er saß tief in seinen Sessel
zurückgesunken und hielt die Augen geschlossen. Er bewegte sich nicht mehr. Sein Atem ging ruhig
und gleichmäßig. Frettel wartete auf irgendeine Veränderung, aber sie trat nicht ein. Nach
einiger Zeit wurde er ungeduldig, und er tippte Ellert vor die Brust.
»Hast du schon angefangen?«
Ellert gab keine Antwort. Er schlief und ließ sich nicht wecken. Frettel untersuchte den Puls
und andere Körperfunktionen, aber sie unterschieden
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