Silberband 001 - Die Dritte Macht
zumal er den genauen Standort kannte. »Höre, Sarah, meine Freunde befinden sich in
Gefahr. Ich habe sie erst heute mittag verlassen – im Kongogebiet.«
Die Schwester sah ihn zweifelnd an. Ras fieberte, das war ihr klar. Sie mußte ihn zu einem
Arzt bringen.
»Hast du Lebensmittel im Haus?« fragte Ras entschlossen. »Packe sie in einen Beutel.
Schnell.«
Zehn Minuten später hielt er das Bündel in der Hand.
»Dreh dich um, Sarah. Ich bin in einer Stunde wieder zurück. Du mußt mir glauben, hörst du.
Ich werde …«
Sie rannte an ihm vorbei und schloß die Tür. Den Schlüssel schob sie in die Tasche ihrer
Schürze.
»Hiergeblieben, Ras! Was immer du auch vorhast, zuerst kommt Dr. Schwarz, um dich zu
untersuchen. Ich habe schon nach ihm geschickt, und er wird wissen …«
Sie verstummte.
Nur einen Augenblick hatte sie sich umgedreht, um das Fenster zu schließen. Als sie sich
wieder Ras zuwandte, war die Stelle, an der er gestanden hatte, leer …
Noch ein vierter Fall verdient, aufgezeichnet zu werden, denn er war wohl der
unglaublichste und geheimnisvollste, betraf er doch ein Gebiet der Parapsychologie, von dem man
bisher noch nichts geahnt hatte.
In der Wohnung des Schriftstellers Ernst Ellert trafen sich an jedem Freitagabend
einige junge Künstler aus München-Schwabing. Jeder brachte seinen Anteil zur Feier mit, um den
schmalen Geldbeutel des freischaffenden Künstlers nicht zu belasten.
Auch heute war es so.
Sie feierten den Geburtstag von Jonny, dem arbeitswütigen Maler, der es selbst in der frohen
Runde nicht lassen konnte, Tapeten zu bemalen.
Ellert hatte es längst aufgegeben, ihn deswegen zur Rede zu stellen. Er bekam dann jedesmal
etwas von ›banausischer Hemmwirkung‹ zu hören, ein Schlagwort, das in seinen Ohren wie ›ewige
Verdammnis‹ klang.
Ein wenig verspätet, wie immer, erschien Heinrich Lothar, von dem niemand so recht wußte,
wovon er eigentlich lebte.
Der nächste im Bunde war Aarn Munro, der Verleger einer kleinen Zeitschrift. Natürlich war
Aarn Munro nicht sein richtiger Name, aber er liebte es, nach dem Helden eines bekannten
utopischen Romans benannt zu werden. Von seiner Zeitschrift allein konnte er nicht leben, so übte
er noch nebenbei einen zivilen Beruf aus, den er jedoch nur ungern erwähnte. Er galt lieber als
Künstler, und da er sehr nette Zeichnungen anfertigte, erkannte ihn auch jeder als solchen
an.
Schließlich ist noch Frettel zu erwähnen, der klug genug war, das Künstlertum als Nebenberuf
zu betrachten. Frettel war Sänger, Conférencier, Veranstalter, Manager, Mäzen, Organisator –
und Arzt.
»Das Thema des heutigen Abends«, begann der Gastgeber und nahm Aarn schnell eine Zigarette aus
der Packung, als dieser nicht aufpaßte, »dürfte klar sein. Schon am letzten Freitag kam Frettel
auf einige merkwürdige Ereignisse zu sprechen, die sich in London abgespielt haben sollen. Wir
fanden keine Erklärung. Lothar meint, es handle sich zweifellos um eine der Parawissenschaften,
von denen ich, ehrlich gesagt, nicht viel verstehe und daher auch nicht viel halte. Wenigstens
war das bis gestern mein Standpunkt.«
Lothar nahm die Oliven, die Aarn mitgebracht hatte.
»Bis gestern?« Er kaute genüßlich. »Was soll das bedeuten?«
»Daß ich meine Meinung änderte«, erwiderte Ellert und versuchte, eine der Oliven für sich zu
retten, was ihm jedoch mißlang. Er entschädigte sich an dem Whisky, den Jonny gespendet hatte.
»Man kann als Künstler ja schließlich seine Meinung ändern, wenn man will.«
»Sie ist das einzige, was wir ändern können«, bemerkte Frettel tiefsinnig. »Außer vielleicht
manchmal die Zahlen auf den Honoraranforderungen.«
»Du bist Arzt!« machte ihn Ellert aufmerksam. »Bei den Schriftstellern ist das nicht so
einfach. Unsere Verleger …«
»Unsere Verleger sind die Krankenkassen«, sagte Frettel doppeldeutig. Er zündete sich
umständlich eine lange Pfeife an, als befürchte er, bereits zuviel gesagt zu haben. »Sie arbeiten
mit vorgeschriebenen Sätzen.«
Aarn interessierten diese Fragen nicht, weil er seinen Autoren überhaupt keine Honorare
zahlte, da sie es zufrieden waren, ihre Namen in der kleinen Zeitschrift lesen zu dürfen. Er
unterbrach daher brüsk:
»Wieso hast du erst gestern deine Meinung über die Parapsychologie geändert, Ernst?«
»Weil mir gestern etwas Merkwürdiges passierte.«
»Erzähle!« forderte Jonny ihn auf und bemühte sich, den Whisky in
Weitere Kostenlose Bücher