Silberband 010 - Thora
Sein zerzauster Backenbart schien eine Behandlung mit einem Rasenmäher hinter sich zu
haben. Die Hosen des Arztes wurden von dünnen Riemchen gehalten, die eine undefinierbare Farbe
aufwiesen und mehrfach verdreht über die Schultern gestreift waren. Morton hatte blaue Augen.
Hell und lustig stachen sie aus einem Dickicht schwarzer Augenbrauen hervor. Jetzt, als sie auf
Goldstein blickten, wurden sie ernst.
»Er hat Fieber«, stellte der Arzt fest.
»Der Tod ist im Schiff!« schrie Goldstein. »Warum glauben Sie mir nicht? Ich bin der
Telepath, ich spüre es. Tun Sie doch etwas!«
Scoobey tauchte in der Tür auf.
»Ich habe den Lärm gehört«, sagte er. »Was ist denn los?«
Everson deutete auf den Mutanten. »Noch ein Gespensterseher, Walt.«
Dr. Morton hantierte mit einer Spritze. Scoobey beobachtete ihn mißtrauisch.
»Das wird ihn beruhigen«, verkündete Morton und richtete sich ächzend auf. Er schwang die
Spritze wie eine Waffe.
»Vielen Dank, Doc«, sagte Everson. »Walt, gehen Sie wieder an die Arbeit.«
Als Scoobey außer Hörweite war, sagte Dr. Morton: »Es sieht nicht gut aus.«
Everson nickte. Goldstein lag starr auf seinem Bett. Der Arzt stampfte davon. Als er
verschwunden war, überkam Everson ein Gefühl der Niedergeschlagenheit.
Gonzales Ramirez betrat seine Kabine und atmete erleichtert auf. Er war ein
mittelgroßer, hagerer Junge, der kurz vor seiner Abschlußprüfung auf der Raumakademie stand.
Obwohl er in den vergangenen Stunden nur Routinedienst hinter sich gebracht hatte, war es doch
ein Unterschied, ob man im Unterrichtsraum der Schule oder im Weltraum arbeitete.
Ramirez ließ sich auf dem bequemen Stuhl nieder. Nach einigen Stunden der Ruhe würde er sich
wieder zu Mataal begeben, um dem Eppaner die arkonidische Sprache beizubringen. Belustigt dachte
Gonzales an die Schwierigkeiten, die ihm diese vokalreiche Sprache vor einigen Jahren noch
bereitet hatte.
Er entledigte sich seiner Uniformjacke. Die dunkle Haut seiner Arme wurde sichtbar.
Mexiko – wie fern das jetzt war. Eine vage Erinnerung an heiße Sommertage, glühenden Sand,
schrille Stimmen von schwarzäugigen Kindern und den Geruch von Tortillas.
Ramirez schnalzte unwillkürlich mit der Zunge. Weit lehnte er sich in dem Stuhl zurück.
Mexiko – das war die Vergangenheit, eine heiße, farbenfrohe Welt irgendwo auf der Erde. Und
die Zukunft? Ramirez' Finger tastete über die Sternenkarte, die mit kleinen Stiften über den
Tisch genagelt war. Das war die Zukunft. Er nickte zufrieden. Still träumte er vor sich
hin.
Er hörte, wie seine Kabinentür geöffnet wurde. Ruckartig fuhr er hoch. War er eingeschlafen?
Niemand war im Zimmer. Vielleicht hatte sich ein Besucher gerade wieder abgewandt, um ihn nicht
zu wecken. Hastig sprang er auf, um nachzusehen. Der lange Gang lag aber leer und verlassen.
Dann erinnerte er sich an Finney, und es fielen ihm die Worte ein, die dieser zu Everson
gesagt hatte: »Ich dachte, es sei jemand in meiner Nähe.« Ramirez grinste. Er hatte sich von
Finney verrückt machen lassen. Er ging zu seinem Bett und glättete die Decken. Bevor er Mataal
aufsuchte, würde er ein wenig schlafen.
Gonzales Ramirez, der dünne, freundliche Junge aus Mexiko, von dem man auf der Akademie
behauptete, daß ihm die Mädchen nur so zuflogen, streckte sich aus und schloß die Augen.
Plötzlich vernahm er, wie die Tür geöffnet wurde. Er hörte es deutlich und bewußt – sein
Körper spannte sich. Trotzdem hielt er die Augen geschlossen und versuchte sich einzureden, daß
er sich getäuscht hatte. Gerade hatte er aus der Kabine geblickt und niemanden entdecken können.
Er mußte nur die Augen weiter fest zudrücken und daran glauben, daß er sich geirrt hatte. Es gab
keine andere Möglichkeit, wenn er nicht an seinem Geisteszustand zweifeln wollte. Er bewegte sich
unruhig. Hartnäckig bemühte er sich, seine Gedanken wieder auf seine Heimat zu lenken:
glühendheißer Sand, das Schreien von Kindern und der Gluthauch des Windes, der über die Berge
kam. Die Stimme seiner Mutter, die ihn zur Anständigkeit ermahnte, und das Poltern des Vaters,
der in der Abendsonne vor dem Haus auf der Veranda zu sitzen pflegte.
Er hörte, wie die Tür zugemacht wurde.
Mit einem Entsetzensschrei öffnete er die Augen. Sein Puls raste. Schweiß bildete sich auf
seiner Stirn. Er zitterte heftig. Seine Zunge fuhr über spröde Lippen.
Nichts war zu sehen, die Kabine war leer.
Hastig
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