Silberband 012 - Der Anti
Horizont, rund wie ein Kreis,
weitete sich. Dann, bevor das ganze Scheibengebilde des Kunstplaneten sichtbar wurde, stießen sie
durch die Energieglocke.
Das hügelige Bergland mit den kleinen Flüssen und breiten Tälern verschwand und machte dem
Weltraum Platz. Es wurde gerade in diesem Augenblick offensichtlich, daß Wanderer von einem
Spiegelfeld umgeben und so unsichtbar für jeden war, der sich von außen her näherte. Statt des
Planeten erblickten die drei Besucher nur die kalten, fremden Sternbilder eines unbekannten Teils
der Milchstraße.
Rechts eilte ein heller Stern vorbei und versank in der grundlosen Tiefe, die sich an der
Stelle aufgetan hatte, an der vorher der Kunstplanet gestanden hatte. Sie sahen ihn nur aus den
Augenwinkeln heraus, aber Rhodan hatte ihn erkannt.
»Die DRUSUS! Ein winziger Lichtfleck – mindestens hundert Kilometer entfernt. Wir
beschleunigen.«
Wuriu Sengu, der bedächtige Japaner, erhob den ersten Einwand. »Wir fliegen ohne Sternkarten,
ohne zu wissen, wie dieses Schiff angetrieben wird. Ja, wir wissen nicht einmal, wo unser Ziel
liegt. Wir sind völlig von den Launen des Unsterblichen abhängig – und wir wissen doch aus
Erfahrung, daß er rauhe Scherze liebt.«
»Diesmal, mein lieber Sengu, scherzt ES nicht, weil ihm nicht danach zumute ist. ES hat uns
mit einer Mission betraut, die ihm sehr wichtig zu sein scheint. Ich bin davon überzeugt, daß wir
in diesem kleinen Schiff so sicher sind wie in der DRUSUS – vielleicht noch sicherer.«
»Aber an etwas zu essen und trinken hat ES nicht gedacht«, triumphierte Gucky nicht ohne
heimliches Bedauern. »Oder glaubst du, daß ES solche Dinge auch aus Gedanken materialisieren
kann?«
»Ja, das glaube ich. Und wenn du dich umsiehst, wirst du alles finden, was wir zum Leben
benötigen – ich gehe jede Wette darauf ein.«
Gucky rutschte prompt von seiner Couch und begann, das Schiff bis in den letzten Winkel hinein
zu durchstöbern. Rhodan ließ ihn gewähren und widmete sich erneut der Beobachtung.
Das war in seinem Fall nicht so einfach. Er war es gewohnt, den Kurs und die Geschwindigkeit
seiner Schiffe selbst zu bestimmen und sie einem bestimmten Ziel zuzuführen. Jetzt aber saß er im
Bug eines winzigen Schiffes, nur durch eine dünne Scheibe von dem tödlichen Vakuum getrennt, und
mußte sich auf die Fähigkeiten des Unsterblichen verlassen, von dem er wußte, daß er keineswegs
unfehlbar war. Hinzu kam, daß er sich keine Vorstellung von den Sicherheitsmaßnahmen machen
konnte, die der Unsterbliche getroffen hatte, sein Leben und das seiner Begleiter zu schützen.
Wenn ES auch nur die geringste Kleinigkeit vergessen hatte …
Es gab keine Funkgeräte an Bord, keine Kontrollen. Sie saßen wie Gefangene in einer fast
völlig durchsichtigen Kabine und wurden durch Kräfte getrieben und gesteuert, die selbst Rhodan
für immer ein Rätsel bleiben würden.
»Da!« rief Sengu plötzlich und zeigte nach vorn. »Was ist das? Die Sterne?«
Rhodan hatte aus den Augenwinkeln heraus die Bewegung schon wahrgenommen.
Die Bewegung der Sterne.
»Die Lichtgeschwindigkeit – wir haben sie überschritten«, sagte er mit verhaltener
Erregung. »In meinem Leben habe ich das erst einmal erlebt. Damals, als ich die Barkoniden
besuchte, flog ich auch mit Überlichtgeschwindigkeit, aber der Unsterbliche war bei mir, und es
war mehr ein Traumflug. Diesmal aber …«
»Wenn die Sterne sich bewegen, muß es vielfache Lichtgeschwindigkeit sein«, vermutete Sengu
nachdenklich. »Ob Effekte auftreten? Zeitverschiebung? Unendliche Masse?«
»Ich glaube nicht, daß wir uns um solche Dinge Sorgen zu machen brauchen. Dieses Schiff –
nun, das scheint nicht der treffende Ausdruck zu sein. Ich glaube vielmehr, daß wir in einem zu
Materie gewordenen Gedanken des Unsterblichen sitzen, der auch wiederum von Gedanken
vorangetrieben wird. Ein unvorstellbares Phänomen, wenn man es wissenschaftlich zu analysieren
versucht. Wir sollten uns nicht mehr den Kopf zerbrechen, sondern das Schauspiel genießen. Nur
schade, daß wir keinen Geschwindigkeitsmesser zur Verfügung haben. Es wäre doch interessant zu
erfahren, wie schnell wir sind.«
Im Verlauf des kurzen Gesprächs waren die Sterne sichtlich schneller geworden. Die
Konstellationen verschoben sich, während man hinsah. Sie veränderten sich und wurden zu
fremdartigen Sternbildern, wie man sie noch nie zuvor gesehen hatte. Gleichzeitig fiel den beiden
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