Silberband 028 - Lemuria
man ein solches Gerät kaum mitten auf einem schwer
zugänglichen Berg aufstellen. Barbaren könnten den Transmitter lediglich gefunden haben und als
Heiligtum verehren. Tempeldiener aber, so fürchte ich, werden über ungebetene Besucher nicht
gerade entzückt sein.«
»Na schön!« sagte der Oberst. »Fangen Sie mit der Wache an. Nach zwei Stunden wecken Sie mich,
und zwei Stunden später werde ich Messier wecken. Ich habe zwar keine Ahnung, wie lange eine
Nacht auf dieser Welt dauert, aber vielleicht ist sie in sechs Stunden schon vorüber.«
Aino Uwanok erhob sich und schritt zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und rief
zurück:
»Schließen Sie die Helme und lassen Sie die Klimaanlagen laufen. Wir haben fünfzehn Grad
minus, und ich möchte Sie nachher nicht als Eiszapfen vorfinden.«
Er lachte schallend, bevor er im Schneegestöber verschwand.
John C. Shelton erwachte davon, daß etwas gegen seinen Helm hämmerte.
Captain Uwanok stand vor ihm. Während er sich noch wunderte, daß er ihn trotz ausgeschalteter
Brustlampe sehen konnte, entdeckte er den Korridor blauweißen Lichts, das schmerzend grell durch
die Tür flutete. »Der Tag ist angebrochen, die Mücken summen, und die Regenpfeifer erwachen in
der Tundra!«
Trotz des fröhlichen Tons blieb des Eskimos Gesicht jedoch ernst.
Der Oberst sprang auf und versetzte nebenbei dem zusammengerollt schlafenden Marsianer einen
Tritt gegen das Schienbein. Dann klappte er den Helm zurück und hielt den Atem an bei der
Hitzewelle, die über ihm zusammenschlug. Jetzt erst sah er, daß der in der Nacht hereingewehte
Schnee längst geschmolzen war.
»Laß mich schlafen, Rutenia!« knurrte Pierre mit geschlossenen Augen. »Die Armleuchter in der
Akademie können warten!«
»Alle Wetter!« staunte Shelton. »So kommt es heraus! – He, Marsmann! Das mit Rutenia muß
doch mindestens acht Jahre zurückliegen. Oder hat man Sie etwa frisch von der Akademie zur CREST
abkommandiert?«
Ruckartig setzte sich Messier auf.
»Was? Rutenia? Der dreibeinige Marsgötze bewahre mich vor …! – Wo bin ich denn
eigentlich?«
Er schlug den Helm zurück und schnappte verzweifelt nach Luft. Dann schien er in die Gegenwart
zurückzufinden. Er wurde puterrot im Gesicht.
»Was habe ich nun wieder für einen Blödsinn erzählt?« Er versuchte ein schiefes Lächeln.
»Ganz schön warm hier, was?« bemerkte Aino zynisch. Dem Captain lief der Schweiß vom Gesicht,
so daß er fortwährend blinzeln mußte.
»Warum haben Sie mich so spät geweckt?« fragte der Oberst vorwurfsvoll.
Uwanok hob demonstrativ den Arm mit der Uhr hoch.
»Im Gegenteil, Sir. Ich habe Sie eine halbe Stunde zu früh geweckt. Die Sonne ist
bereits vor zwanzig Minuten aufgegangen, und als es plötzlich so heiß wurde, dachte ich, es wäre
besser …«
Der Kommandoleiter ließ ihn nicht aussprechen. Er schob ihn einfach beiseite und lief zur Tür
hinaus. Messier und Aino blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen.
Draußen stand eine riesige rote Glutscheibe über dem Horizont. Ihre Strahlen überschütteten
das Plateau mit einem derartig unerträglichen Hitzeschauer, daß die Männer nach den Helmen
griffen und sie über den Kopf zogen.
Sie traten an den Rand des Abgrundes.
Aus zahllosen Tälern stiegen weißliche Dampfschwaden auf. Die Glut des beginnenden Tages hatte
die Spuren des nächtlichen Schneesturmes fast völlig getilgt. Nur verdunstende Nässe war
übriggeblieben.
»Das ist noch nicht alles«, erklärte Aino Uwanok und wandte sich um.
Die Gefährten folgten seinem Beispiel und rissen die Augen weit auf. Hinter und über dem
Transmittergebäude ragte die gewaltige Kugel des Mondes in den Himmel. Aber war sie in der Nacht
eine breite Sichel gewesen, mit einem dunklen Streifen, so präsentierte sie sich jetzt als
schemenhaft erkennbare Welt mit einem hellen Streifen am Rande.
»Ich fürchte«, sagte Shelton mit kratziger Stimme, »wir haben heute nacht die Begriffe
verwechselt. In Wirklichkeit ist das dort der Planet, und wir stehen auf einem Mond.«
»Schätze, Sie haben mir aus der Seele gesprochen«, erwiderte der Eskimo grinsend. »Es fragt
sich nur, warum uns das Ding ohne Namen hier abgesetzt hat …«
»Es sagte: ›Ihr werdet zufrieden sein‹, nicht wahr?« Pierre Messier zog ein mißmutiges
Gesicht. »Nun, ich für meine Person bin alles andere als das.«
»Es muß eine Erklärung geben!« äußerte Aino. »Zweifellos sind wir nicht in
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