Silberband 030 - Bezwinger der Zeit
ließ
er ein Auge entstehen. An einem Tisch inmitten des Zimmers saß ein humanoides Wesen, das
zweifellos weiblicher Art war. Die Tatsache, daß die Frau ihren Kopf in beide Hände stützte und
weinte, erweckte sofort Willys Hilfsbereitschaft. Er vergaß, sein Auge einzuziehen und klopfte
mit einem zweiten Tentakel gegen die Tür.
Die Frau blickte auf und sah ein farbloses Stielauge an der Tür hin und her pendeln. Sie faßte
sich mit beiden Händen an den Hals und sank in ihren Sessel zurück.
Hastig ließ Willy sein Auge verschwinden, doch es war bereits zu spät. Die Dame war offenbar
ohnmächtig geworden. Willy hastete in Rieras Zimmer zurück. Aboyer, der nichts Gutes ahnte,
blickte ihn fragend an. Das Quallenwesen gab ein Geräusch von sich, das wie ein durchdringendes
Räuspern klang.
»Zimmer sechs wird von einer Dame bewohnt«, sagte Willy endlich.
»Ich weiß«, erwiderte Aboyer. »Von Fürstin Marek vom Lay-Star-System. Sie vertritt ihren
schwerkranken Mann während der Konferenz.«
»Ich befürchte«, sagte Willy kleinlaut, »ich habe die Fürstin erschreckt.«
»Was haben Sie getan?« knurrte Aboyer.
»Ich habe ein Auge unter der Tür durchgeschoben«, berichtete Willy. »Als ich dann anklopfte,
vergaß ich es zurückzuziehen. Die Fürstin muß schwache Nerven haben.«
»Gehen Sie zurück und entschuldigen Sie sich«, befahl Aboyer. »Wenn wir so weitermachen, haben
wir in einer Stunde den schönsten Aufruhr im Hotel.«
»Es ist sehr traurig, daß Sie nicht mit mir zufrieden sind, Al«, sagte Matten-Willy
melancholisch.
Er schlüpfte wieder auf den Gang hinaus. Als er abermals am Zimmer der Fürstin anklopfte, flog
die Tür auf, und Willy starrte mit allen ausgefahrenen Stielaugen in den Lauf eines großen
Handstrahlers. Er verfärbte sich vor Schreck ins Violette und begann zu rotieren. Im letzten
Augenblick fiel ihm ein, daß er nur die Decke zur darunterliegenden Etage durchbrechen würde, und
er hielt inne.
»Nicht schießen!« wimmerte er. »Ich bin einer der Konferenzteilnehmer und möchte Ihnen einen
Besuch abstatten.«
»Ein Matten-Willy!« sagte die Frau, die jetzt durchaus keinen hilflosen Eindruck mehr machte,
sondern Willy sehr energisch vorkam. »Herein mit Ihnen!«
Willy wackelte wie ein Riesenpudding, als er frierend und ängstlich ins Zimmer der
Sternenfürstin glitt. Zu seiner Erleichterung ließ die Kolonistin die Waffe sinken.
»Sie haben mich beobachtet«, warf sie Willy vor. »Warum taten Sie das?«
»Auf der Hundertsonnenwelt beobachten wir uns alle«, erklärte Willy eifrig. »Es macht uns
einen Riesenspaß, Mylady. Ich meine, es ist nichts dabei, wenn man einen anderen beobachtet. Ich
wollte sagen …«
»Was wollen Sie?« Die Fürstin hatte kupferrotes Haar, wie Willy voller Bewunderung
feststellte. Sie trug hohe Stiefel und eine enganliegende Uniform. Obwohl Willy die humanoide
Körperform nicht besonders schön fand, mußte er die figürlichen Vorteile der Fürstin
anerkennen.
»Könnten wir uns über Perry Rhodan unterhalten?« erkundigte sich Willy.
»Perry Rhodan«, wiederholte die Fürstin Marek nachdenklich. »Im Augenblick noch ein
interessantes Thema. Warum also nicht über ihn sprechen?«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir nach unten gehen? In einen Aufenthaltsraum oder an die
Bar?« fragte Willy. »Dort ist es wärmer.«
»Ich bin für die Bar«, antwortete die Administratorin zu Willys Überraschung. »Seit ich auf
Terra bin, habe ich Bauchschmerzen. Keine Medizin scheint mir zu helfen. Vielleicht bekommt mir
ein guter Schluck.«
Wäre Matten-Willy Terraner gewesen, hätte er vielleicht über diese Worte nachgedacht. So wußte
er nur wenig über den menschlichen Organismus, und es blieb bei einem Wort des Bedauerns.
Willy wälzte sich aus dem Zimmer und ließ dann der Fürstin den Vortritt zum Lift. Als die Frau
an ihm vorbeiging, ließ Willy unbeobachtet ein Tentakel zurückschnellen und fing die Tür zum
Zimmer auf, bevor sie endgültig zuschlagen konnte. Der Weg in diesen Raum war für Aboyer
frei.
Willy war stolz und glücklich. Als er sich jedoch eine halbe Stunde später wieder mit Aboyer
in Rieras Zimmer traf, mußte er erfahren, daß auch im Gepäck und in den Kleidern der Fürstin kein
verdächtiger Gegenstand versteckt zu sein schien.
»Natürlich besteht die Möglichkeit, daß ein Teilstück der dritten Waffe in den Kleidern
verborgen ist, die die Frau trug, als sie mit Ihnen an der Bar saß,
Weitere Kostenlose Bücher