Silberband 055 - Der Schwarm
abgestürzt oder als Barrikade gedacht war, ließ sich nicht feststellen. Simon begriff, daß er hier keine Chancen haben würde und ging weiter in Richtung zur Treppe.
Ein paar Schritte weiter hörte er wieder Stimmen. In der Nähe der Treppe schienen Menschen zu sein. Es hörte sich an, als würden sie singen. Wieder mußte Simon seine Angst niederkämpfen. Er ging entschlossen weiter.
Vor der Treppe blieb er stehen. In seiner unmittelbaren Nähe hielten sich mehrere Leute auf. Ihr Singsang vermischte sich mit dem Heulen des Windes. Die Stimmen klangen monoton. Es gab jedoch einen Vorsänger, der mehr Gefühl in seine Stimme legte.
Die Gruppe schien von Simon keine Notiz zu nehmen, denn sie sang weiter, als er schon die ersten Treppenstufen erstiegen hatte.
Dann brach der Vorsänger sein Lied abrupt ab. »Blinder Mann!« schrie er.
Auch die übrigen hörten jetzt auf zu singen. Es waren ausschließlich stark Verdummte, wie Simon an ihren kindlich wirkenden Äußerungen feststellen konnte.
»Was immer dein Ziel ist, du wirst es nicht erreichen. Der Untergang läßt sich nicht aufhalten.« Die Stimme des Vorsängers überschlug sich im Bemühen, den Sturm zu übertönen. »Du kannst gerettet werden, wenn du dich unserer Gruppe anschließt.«
Der halbtote Simon ging weiter die Treppe hinauf. Sein ganzes Denken war auf Dr. Fingal konzentriert. Er mußte sich an diesem Namen festklammern.
»Du Narr!« schrie ihm der Vorsänger nach. »Du wirst dich nicht retten können.«
Simon begann zu rennen. Dieses Geschrei ging ihm auf die Nerven. Am Ende der Treppe fiel er über ein am Boden liegendes Bündel, das sofort zu schreien begann.
Ein Kind! dachte der legitimierte Warenhausdieb.
Der Gedanke, daß dieses Kind, in durchnäßten Decken eingehüllt, hilflos am Boden lag, weckte Simons Mitleid. Er beugte sich hinab, um das Kind aufzuheben. Es schrie noch lauter. Simon war ratlos. Er trug das Kind ein paar Schritte vor sich her, bis er gegen einen Mast rannte und sich verletzte. Das Kind glitt aus seinen Armen. Er hielt es wieder fest. Er konnte spüren, wie die Händchen des Kindes nach ihm griffen. Es schien etwas zu suchen. Sicher hatte es Hunger.
Der halbtote Simon schrie auf, legte das Kind auf den Boden und rannte weiter.
Obwohl er durch die Bilder der fliegenden Kameras und die Berichte der Immunengruppen über die Verhältnisse in Terrania-City unterrichtet war, hatte Coden Opprus geglaubt, daß sie auf ihrem Weg zur meteorologischen Hauptstation mit mehr Menschen zusammentreffen würden. Das Gebiet, das sie durchquerten, gehörte immer noch zu Imperium-Alpha, aber hier oben gab es weder Schutzschirme noch andere Sperren. Die Tatsache, daß hier die Zentrale lag, schien viele Verdummte davon abzuhalten, in dieses Gebiet einzudringen.
Opprus, Pohklym und Gryndheim waren auf ihrem Weg nur einem völlig verdummten alten Ehepaar begegnet, das ziellos herumirrte und nach Nahrung suchte. Sie hatten ihre Vorräte den alten Menschen übergeben, obwohl sie sich bewußt waren, daß sie damit das Elend der beiden nur für zwei oder drei Tage gemildert hatten.
Das, was sie in ihrer Umgebung sahen, hatte die drei Männer schweigsam gemacht. Außerdem mußten sie gegen Sturm und Regen ankämpfen, was sie viel Kraft kostete.
Opprus blickte mit zusammengekniffenen Augen über die Straße, auf der sie sich bewegten. Alle Transportbänder standen still. Zahlreiche Fahrzeuge standen verlassen am Straßenrand oder mitten auf der Straße. Schräg gegenüber hatte ein abstürzender Gleiter eine Hauswand gerammt und war dann am Boden aufgeschlagen. Das Wrack lag vor dem Eingang einer Kinderlernstätte, seine Insassen waren verschwunden. Opprus glaubte nicht, daß sie den Absturz überlebt hatten. In Terrania-City kamen die Bestattungsroboter mit ihrer Arbeit noch nach.
Opprus blickte auf die Uhr. In zwei Stunden war Sonnenuntergang, aber von der Sonne war an diesem Tag sowieso nicht viel zu sehen gewesen. Es war schon fast dunkel.
Der Oberst hatte den Eindruck, daß der Sturm an Heftigkeit nachgelassen hatte, aber das konnte auch allmählich Gewöhnung an die Wetterverhältnisse sein.
Das Summen des Funksprechgeräts erschreckte ihn, denn er hatte jetzt nicht mit einer Kontaktaufnahme gerechnet.
»Hier ist Deighton!« meldete sich der Abwehrchef aus der Zentrale. »Wie kommen Sie voran?«
»Besser, als wir dachten«, erwiderte Opprus. »Wir werden unser Ziel in einer Stunde erreicht haben, wenn nichts
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