Silberband 058 - Die Gelben Eroberer
Helligkeit vor dem Energieschirm.
»Außerhalb dieser Röhre oder dieser Brücke findet offensichtlich kein Flug statt – kein Flug zur Insel!« sagte Sandal.
»Das ist die Heimat der Mächtigen!« erklärte Tahonka-No. Es war deutlich, daß er jetzt wieder Furcht verspürte.
Sandal war hungrig und sehnte sich nach einem langen Schlaf.
»In ganz kurzer Zeit reite ich weiter«, sagte er in ruhigem Tonfall. »Denn ich sehe meinen Weg und das Ziel.«
Die Nervosität und Unruhe, die seit Tagen immer deutlicher zutage getreten waren, brachen bei Tahonka-No aus. Heftig wandte er sich an Sandal: »Du wirst sterben, wenn du weiterreitest, Sandal!«
»Möglich«, sagte Sandal hart. »Aber wenn ich sterbe, werde ich dies als Krieger tun, nicht als Gehetzter. Und es erscheint mir außerordentlich fraglich, ob Wesen, die mit Gleitern fliegen, für meine Art des Kampfes taugen. Ich werde sie alle besiegen mit meinen zweihundertfünfzig Pfeilen.«
Tahonka senkte schweigend den Kopf, wartete einige Minuten und sagte schließlich: »Ich werde mit dir reiten, Sandal. Und wenn der Ritt geradewegs in den Tod führt.«
Sandal streckte seine Hand aus. Die beiden ungleichen Partner schüttelten sich kräftig die Hände.
»Du bist härter als dieser Fels hier, aber ich schöpfe Hoffnung!« sagte er. »Reiten wir abwärts.«
»Prägen wir uns vorher noch einmal die Richtung und die markantesten Wegzeichen ein«, versetzte Sandal.
Lange glitt sein Blick über die Landschaft, suchte nach Festpunkten in der Masse aus wechselnden Geländeformen, heftete sich auf die Kuppel und auf die schwirrenden glitzernden Punkte, die in Wirklichkeit Fluggeräte waren, dann nickte er.
»Los!« sagte er.
Weit unter ihnen schwebte ein riesiger Gleiter über den Savannenstreifen. Das Mißverhältnis würde die beiden Reiter auch weiterhin retten – das Mißverhältnis zwischen ihrer geringen Größe im Vergleich zu diesen technischen Apparaten. Und jemand, der es gewohnt war, aus der Luft zu suchen und zu kämpfen, hatte gegen einen entschlossenen Jäger und Krieger auf dem Boden und in den vielfältigen Formen der Deckung nicht die geringste Chance, wenn er nicht gleich einen großen Geländestreifen vernichtete.
»Denn unser Tod ist näher, als wir ahnen!« zitierte Tahonka-No, als er sich in den Sattel schwang und Sandal folgte.
Das Thoen entfaltete die Flügel und wirbelte nach unten.
Der Todesritt begann.
Während er die Zügel lockerte und sein Tier den Weg allein finden ließ, versuchte der Knöcherne, seine Gedanken wieder zu ordnen. Zwei Weltbilder kämpften in seinem Innern einen lautlosen, aber erbitterten Kampf aus.
Er hatte in den vielen Tagen seit der Stunde, in der Sandal sein Leben gerettet hatte, diesen kühnen jungen Jäger schätzengelernt wie seinen eigenen Bruder. Er sah ein, daß Sandal der Vertreter des Pragmatismus von Überleben und Kampf war, der geborene Waldläufer, Kämpfer, Bogenschütze … offen für jede Äußerung aus Natur, Gefahr oder Technik. Ein Verstand, der völlig unbelastet und ohne Vorurteile war. Sandal verkörperte für ihn den Typ des Intelligenzwesens, das sich überall mit den richtigen Mitteln durchsetzen konnte.
Dagegen wirkte das bisherige Leben des Knöchernen eintönig. Er trug auf seinen Schultern die schwere Last von Glauben und Aberglauben, von vielen Fakten und Gewohnheiten der Erziehung und des Zusammenlebens und der Machtstrukturen innerhalb des ›Schwarms‹, wie Sandal seine Heimat nannte. Ein Verbot, von den Ersten Dienern ausgesprochen, galt für ihn, für das Volk des Knöchernen, ebenso wie für die kleinen purpurnen Stummen. Was sollte er tun? Einerseits war er froh darüber, daß er sich entschlossen hatte – und sein Entschluß würde tatsächlich bis zu seinem möglichen Ende gehen.
Andererseits … die Gefahren, die sich vor ihnen türmten, waren vergleichsweise gigantisch. Sie hatten zwar die halbe Wegstrecke hinter sich gebracht, ohne erschlagen, erschossen oder zerfetzt zu werden, aber irgendwann – auch das hatte er von Sandal – setzte das Gesetz der großen Zahl ein.
Zwei Männer gegen Tausende von Gefahren. Auf die Dauer mußten sie verlieren.
Es war Abend, als sie in einer kleinen, kühlen Schlucht lagerten. Sie hatten etwa zwei Drittel des Abstieges geschafft. Zwischen ihnen und der Insel lagen noch etwa einhundertsiebzig Kilometer.
Und zahllose Todesfallen.
In den ersten Stunden des Morgens wechselte der Baumbestand am unteren Ende des letzten
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