Silberband 070 - Gehirn in Fesseln
keine guten Erinnerungen an Nopaloor. Er wußte, daß man ihn suchen lassen würde, und an jeder Straßenecke konnte eine der gefürchteten Patrouillen auf ihn lauern. Hier unten in dem verlassenen Geheimgang des Tempels fühlte er sich sicherer.
»Glaubst du, daß wir ungehindert bis zu deinem Haus gelangen? Wo liegt es ungefähr?«
»In der Altstadt, über den Katakomben.«
»Katakomben?«
»Sie stammen aus grauer Vorzeit und sind noch so gut wie unerforscht. In ihnen treibt sich allerlei Gesindel herum, aber wir brauchen uns nicht davor zu fürchten. Außerdem werden wir dann bewaffnet sein.«
»Du sagtest doch, du hättest keine Waffe.«
»Ich nehme niemals eine mit in den Tempel, aber in der Stadt führe ich stets eine mit mir. Ich werde sie dir geben, sobald wir den Ausgang erreichen. Sie liegt dort in einem Versteck. Und noch etwas, Danro: Gib keine Antwort, wenn du angesprochen wirst! Überlaß das Reden mir, die meisten kennen mich, und sehr oft brauchen sie mich auch. Niemand will es sich mit mir verderben.«
Der Geheimgang endete auf der Sohle eines runden Schachtes von zwei Metern Durchmesser. Abermals zog der Rote Anatom den elektronischen Schlüssel hervor, schob ihn in eine Felsspalte und wartete, bis die runde Wand sich zu bewegen begann. Im Schein der Lampe sah Rhodan, daß sich ihr Gefängnis schloß, denn so mußte er sich auf dem Grund des Schachtes vorkommen, dessen oberer Teil sich in der Finsternis verlor.
Der Rote Anatom deutete auf eine Strickleiter.
»Da müssen wir hinauf. Es sind etwa zwanzig Meter. Doch zuvor wollen wir etwas für unsere Sicherheit tun.« Er nahm vorsichtig einen der Würfelsteine aus dem Gefüge der Schachtwandung und griff in die entstandene Öffnung hinein. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, lag in ihr ein zehn Zentimeter langer, blitzender Gegenstand, der an eine Taschenlampe erinnerte. An der Seite war ein Knopf. »Das ist ein Nadler. Du mußt sehr vorsichtig mit ihm umgehen. Wenn du den Knopf eindrückst, verschießt er einen drei Millimeter langen Giftbolzen mit Hilfe seiner elektromagnetischen Ladung. Die Durchschlagskraft ist hoch, aber schon der geringste Kratzer genügt, den Getroffenen sofort zu töten. Jeder Druck auf den Knopf bedeutet einen Schuß. Der Vorrat ist nahezu unbegrenzt und kann jederzeit ergänzt werden. Eine kleine, aber ungemein wirksame Waffe.«
Rhodan nahm den Nadler und schob ihn in seine rechte Rocktasche.
»Danke«, sagte er. »Wenn du mir ein Zeichen gibst, werde ich sie benützen.«
Dann folgte er seinem kleinen Freund und kletterte hinter ihm her.
14.
Oben angelangt, zog der Rote Anatom die Strickleiter hoch und ließ sie in einem Mauerloch verschwinden, das er danach sorgfältig wieder verschloß. Der Schacht selbst wirkte leer und unverdächtig. Und selbst dann, wenn jemand hinabstieg, fehlte ihm der Impulsschlüssel zur Öffnung des Geheimgangs.
»Wir sind jetzt in einem stillgelegten Kanalisationssystem«, erklärte der Rote Anatom und ließ den Lichtkegel an runden Decken und abgewaschenen Felswänden entlangwandern. »Von hier aus gelangen wir in die ehemaligen Fluchtsiedlungen, in denen vor Tausenden von Jahren die einstigen Bewohner der Stadt Schutz vor feindlichen Angriffen fanden. Die Robotpolizei wagt sich fast nicht mehr dorthin. Unter Nopaloor wohnen heute mehr als zehn Millionen Diebe, Gauner, entflohene Diener und gesuchte Verbrecher. Sie gehören zu meinen Kunden, denn wo sonst sollten sie die Dinge kaufen, die sie zum Überleben benötigen? Die unterirdische Stadt ist alt, unvorstellbar alt. In ihr leben die Ausgestoßenen, die Parias, die eigentlich längst Gestorbenen und alle jene, die keine Identität mehr besitzen. Ein Reich für sich, in dem Gewalt, Stärke und List regieren. Es gibt Wucherer und Schieber, die meist von mir beliefert werden und ihre Waren an gutzahlende Kunden weiterverkaufen. Es gibt unter diesen Kunden sehr oft angesehene Yaanztroner, Wissenschaftler, Chirurgen und Biologen. Manche von ihnen kaufen Gehirne, die anderen lebensfähige Organe für die Bänke. Hier unten wird mit allem gehandelt, was es überhaupt gibt. Man kann sogar seinen eigenen Körper verkaufen, wenn man einen Interessenten findet.«
»Und all das geschieht mit stiller Duldung der offiziellen Behörden?«
»Ja, was sollten sie dagegen tun? Der heimliche Handel ist nicht ohne Nutzen für sie. Wenn auch manche Dinge illegal geschehen, so ersparen sie vielen Leuten doch Kopfschmerzen und Skrupel. Trotzdem
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