Silberband 070 - Gehirn in Fesseln
konnte, und setzte den Krug auf den Tisch zurück. Hunger und Durst waren wieder einmal verflogen, und erst jetzt nahm er sich die Zeit, die Opfergaben genauer zu betrachten.
Da gab es Kleidungsstücke, wenn auch der Gedanke absurd schien, einem gestorbenen Gehirn Kleidung mit auf die letzte Reise zu geben. Aber jetzt war nur wichtig, daß es sie überhaupt gab. Daneben lagen Schmuckgegenstände, deren Wert man nur erahnen konnte.
»Du mußt dich in einen Diener der höheren Klasse verwandeln«, sagte der Rote Anatom und musterte die Urnen mit den Identifikationsmarken. »Ein Bordin ist immer ein Diener, aber sie unterscheiden sich. Wir könnten aus dir einen Leibdiener machen, der zusammen mit seinem Herrn freiwillig in den Tod ging. Sein Gehirn wurde in eine neue Persönlichkeit übertragen, die jedoch sein Ansehen mitbekam. Einen Yaanztroner kann ich leider nicht aus dir machen.«
Das hatte Rhodan auch nicht erwartet, obwohl er begann, dem Roten Anatomen so ziemlich alles zuzutrauen.
Der Händler wählte die kostbare Kleidung eines hochstehenden Dieners aus dem Volk der Bordins und reichte sie Rhodan.
»Zieh das an, mein Freund! Ich suche inzwischen nach einer geeigneten Marke. Leider ist es unmöglich, sie bereits hier mit deiner jetzigen auszutauschen, denn wenn ich auch so ziemlich alles im Yaanztropa gefunden habe, das geheime biologische Lösungsmittel noch nicht. Es ist nur den Wissenschaftlern zugänglich.« Er grinste. »Ich habe einiges davon jedoch in meinem Geschäft. Dort also werden wir den Wechsel endgültig vornehmen.«
Rhodan nahm die Kleidung und zog die alte aus. Er ignorierte die pessimistischen Bemerkungen Tectos, der trotz allen Unglücks an seiner ursprünglichen Persönlichkeit hing und sie nur ungern aufgab, obwohl gerade der illegale Tausch seine Rettung bedeutete.
Der Rock reichte bis zur Mitte der Oberschenkel und ließ den Rest der Beine frei. Zwei breite Träger hielten ihn fest, Brust und Rücken blieben ebenfalls frei. Das hatte seinen bestimmten Grund: Jeder Diener mußte sofort an seiner Identifikationsmarke zu erkennen sein.
Als Rhodan sich umgekleidet hatte, kehrte der Rote Anatom von seinem Inspektionsgang zurück. In der flachen Hand hielt er Rhodan die kleine, dünne Metallplatte entgegen, die drei mal fünf Zentimeter maß.
Rhodan las die eingestanzte Bezeichnung: »P-a-Ha-10.843 M.«
»Was bedeutet das?« erkundigte er sich skeptisch.
»Du bist in dem Augenblick, in dem wir die Marken ausgetauscht haben, ein Mouschong, ein freier Diener, dessen Herr verstorben ist. Das bedeutet, daß du frei bist und niemandem mehr dienen mußt, wenn du nicht freiwillig einen neuen Vertrag eingehst. Mouschongs sind in der Gesellschaft sehr geachtet und genießen hohes Ansehen, weil sie nach dem Tode ihres Herrn einen Teil seines Vermögens erbten. Niemand wird es wagen, dir Vorschriften zu machen oder dich zu belästigen. Du bist dein eigener Herr, aber nicht mehr ein geflohener Diener, der schon vor seiner Ergreifung zum Tode verurteilt ist. Du wirst dich frei in Nopaloor bewegen können, ohne belästigt zu werden. Niemand wird dir Fragen stellen.«
»Aber ich habe viele Fragen zu stellen, Anatom. Ich muß wissen, in welchem Teil des Universums ich mich aufhalte, sonst werde ich meine eigene Galaxis niemals wiederfinden.«
Der Rote Anatom nickte.
»Ich werde dir auch dabei helfen, Danro. Doch zuerst einmal müssen wir diesen Tempel verlassen und ungeschoren mein Haus erreichen. Wir müssen die alte Marke entfernen und die neue einpflanzen. Dann erst ist Zeit, weitere Pläne zu machen.« Er betrachtete Rhodan mit Wohlgefallen. »Du siehst gut aus, ein kräftiger Diener aus dem Volk der Bordins. Ein guter, freier Diener, der seinen Herrn niemals verließ und ihm bis zum Tode treu diente. Man wird dir mit größter Hochachtung begegnen, und es wird viele Yaanztroner geben, die sich um einen Vertrag mit dir bewerben.«
»Darauf lege ich keinen Wert.«
»O ja, das wirst du doch, nur wirst du keine neue Verpflichtung eingehen – das ist der Unterschied.«
»Du mußt es besser wissen«, gab Rhodan achselzuckend zu. Er sah sich suchend um, nachdem er die abgelegte Kleidung auf einem der Tische deponiert und die neue Identifikationsmarke in die Tasche geschoben hatte. »Gibt es hier keine Waffen?«
»Hier nicht, Danro. Aber ich habe welche in meinem Geschäft. Du wirst eine bekommen, sobald wir dort sind. Doch trage sie verborgen in der Kleidung. Waffen erregen stets Mißtrauen,
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