Silberband 077 - Im Mahlstrom der Sterne
angepeilte Sonne muss Planeten besitzen. Und von einem dieser Planeten stammen die Funksignale. Die Entfernung beträgt also ziemlich genau 450 Lichtjahre. Sollen wir das Sonnensystem erkunden?«
Der Cheffunker sah mich erwartungsvoll an. »450 Jahre sind eine lange Zeit«, meinte er dabei. »Denen, die damals Hilfe brauchten, tut heute wahrscheinlich kein Knochen mehr weh.«
»Schon möglich, Freyer«, gab ich zu. »Aber ich möchte den Spuren dieser Lebewesen dennoch nachgehen.«
»Soll ich der HARLOWER Einsatzbefehl geben?«
Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten unsere Mission beendet. Ich konnte mir zwar vorstellen, dass die Astronomen und Kosmologen noch wochenlang mit der Beobachtung des Materieschlauchs zwischen den beiden Galaxien hätten zubringen können, doch sensationelle Ergebnisse waren nicht mehr zu erwarten. Wir wussten über unsere Lage Bescheid, und eine Standortbestimmung der Erde war nach den ersten Ergebnissen in nächster Zeit nicht zu erwarten. Was sollten wir hier also noch?
Faszinierender und aufschlussreicher konnte es da schon sein, den jahrhundertealten Spuren eines unbekannten Volks nachzugehen. Dadurch konnten wir mehr über die soziologische und biologische Struktur des Mahlstroms erfahren.
»Die HARLOWER soll auf Position bleiben und durch Fernortung weitere Daten über dieses Sonnensystem beschaffen!«, befahl ich. »Wir werden mit der gesamten Flotte das neue Ziel anfliegen. Die HARLOWER wird uns lotsen.«
25.
Horre l'Eger
Meine Erregung wuchs mit jedem Schritt, den ich meinem Ziel näher kam. Als ich in der Menge plötzlich einem Naturschützer gegenüberstand, stellte sich mir der Kopfflaum auf. Mein Herz setzte aus, einige Augenblicke lang verstummte der Lärm in der Straßenschlucht, bleierne Stille umgab mich. Der grün Uniformierte sah mich an. Ich dachte: Jetzt hat er dich erkannt. Aber dann wanderten seine Augen wieder weiter. Der Lärm um mich setzte wieder ein. Ich hatte mir alles nur eingebildet.
Was für ein Narr ich doch war. Wovor fürchtete ich mich? Man sollte meinen, dass ich mit der Zeit etwas abgebrühter geworden war – und überhaupt, die Gefahr war doch mein Geschäft. Wenn ich selbst etwas Verbotenes tat, hätte ich so kaltblütig sein sollen wie bei der Jagd nach Gesetzesbrechern.
Aber das eine ließ sich mit dem anderen nicht vergleichen. Der Gang zu den Gewölben der Sünde war immer wieder ein Nervenkitzel. Ich würde meine Ängste wohl nie loswerden. Warum tat ich es dann noch immer? Ich hätte die Finger davon lassen sollen. Aber das war mir unmöglich. Ich war wie süchtig.
Meine Augen wanderten argwöhnisch umher, während ich mir meinen Weg durch die Straßenschluchten bahnte. Meine größte Sorge war, dass mich irgendjemand erkennen würde. Aber ich hatte mich verkleidet. Nicht, dass ich Maske gemacht hätte. Ich trug nur mein Privatgewand, und man sollte nicht glauben, wie die Kleidung jemanden verändern kann. Ich war nicht mehr Horre der Giftgrüne, sondern irgendein anonymer Passant. Und wenn mich doch jemand zufällig erkannte, konnte ich immer noch sagen, ich sei inkognito zu einer Razzia unterwegs.
Das sagte ich mir, aber diese Überlegung konnte mein Schnabelzittern nicht verhindern.
Dabei war es so leicht, in Cranschto unterzutauchen. In dieser hektischen 30-Millionen-Stadt einen Einzelnen finden zu wollen war so aussichtslos, wie in einem Schursalon nach einer einzelnen Feder zu suchen. Cranschto war zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Rummelplatz. Trubel in den Straßen, Hektik auf den Plätzen, Chaos überall, unter und über der Planetenoberfläche. Cranschto war der Schmelztiegel von Zannack, der Pulsschlag des Lebens, ein Sündenpfuhl; Cranschto besaß die höchste Sterbequote, die höchste Geburtenrate; Cranschto war die abscheulichste Müllhalde des ganzen Planeten.
Und doch war Cranschto die Perle von Zannack. Wer hier lebte, hasste und liebte die Stadt zugleich. Man verabscheute die grauen Häuserschluchten, die tiefen, verschmutzten Bunker, den Gestank, die Kunststoffgefängnisse, in denen man wohnte – aber man liebte hier das Leben wie nirgendwo sonst. Man hing mit einer geradezu widernatürlichen Verbissenheit an diesem erbärmlichen Leben, um das man jeden Tag erneut kämpfen musste.
Ich war gleich an meinem Ziel. Ein kurzer Gedanke an Layga. Sie saß in ihrem Kunststoffgefängnis und wartete auf meine Rückkehr. Sie glaubte, dass ich beruflich unterwegs sei. Mein schlechtes Gewissen drückte mich. Ich hätte
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